Kurzgeschichten
Die kalte Barbara
Nein, das ist keine neue Eisheilige und damit keine Ergänzung oder Erweiterung zur kalten Sophie. Auch kein Ersatz. Die kalte Barbara gehört nicht in den Kalender, sondern ins reale Leben. Zu Beginn war Barbara auch nicht eine "Kalte". Vom Aussehen her eine ganz normale, unauffällige Erscheinung. Gepflegt, durchaus hübsch, schlank und mit einem offenen, freundlichen Gesicht lief diese junge Frau durchs Leben. Intelligent war sie, die Barbara. Sie verblüffte viele und bestandene Kollegen mit einem glänzenden Fachkönnen. Gepaart mit einem nicht enden wollenden Wissensdurst brachte ihr das mit der Zeit nicht nur Freunde, sondern auch Neider. Und daraus wurde ... Nun, beginnen wir die Geschichte doch besser am Anfang.
Barbara wuchs in einer behüteten Familie zusammen mit einer älteren Schwester und einem wesentlich jüngeren Bruder auf. Die obligatorische Schulzeit absolvierte sie problemlos, die Maturität bestand sie mit ausgezeichneten Noten. Danach studierte sie irgendwo im Ausland Mathematik. Später erwarb sie in einem andern Kontinent Diplome und spezialisierte sich in Informatik. Sie war derart fasziniert von ihrem Beruf, dass es in ihrer spärlich bemessenen Freizeit fast kein Privatleben gab. Kaum ein Mann und nur wenige Frauen waren intellektuell in der Lage, mit Barbara ein entspanntes und niveaureiches Gespräch zu führen. Allgemeine Themen liebte Barbara sowieso nicht, das war ihr zu banal. Belangloses Zeugs zu schwätzen, nur damit man ein Gegenüber unterhalten konnte, das lag ihr nicht. Fesseln konnte man Barbara nur mit hochstehenden Fachdialogen. Doch Leute mit entsprechendem Hintergrund waren rar. Und zudem oftmals wesentlich älter als sie. So gewöhnte sich Barbara an ihr eigenbestimmtes und freies Leben und genoss es mit der Zeit auch entsprechend. Mit der Zeit legte sie sich den "Kältemantel" an, wie sie es nannte. Mit entsprechender Mimik und kühlem Verhalten hielt sie Leute in Schach respektive auf Distanz.
Dieter und der Lift
Dieter war stolz. Unendlich stolz, sogar. Morgen war die Einweihung des landesweit modernsten Personenliftes. Den hatte er seinerzeit beim Stadtrat irgendwie durchgeboxt. Dann die Einsprachen in langwierigen (und teuren) Verfahren gebodigt und schliesslich auch die beiden Kommissionen überzeugt, die wegen der finanziellen Fehlkalkulation ins Leben gerufen wurden und mehrmals bei ihm vorstellig geworden waren.
Nun, das Magengeschwür und die vielen übernächtigten Sitzungen war es zwar nicht Wert gewesen, aber eben: das war jetzt vorbei und Dieter sehr, sehr stolz. Mit einem seligen Lächeln schlief er endlich ein. Aber es war kein erholsamer Schlaf, Albträume plagten ihn. War er sich auch gewohnt, wichtige Reden und das vor vielen Leuten zu halten, so stand morgen doch ein ganz besonderer Tag auf seinem Programm: Im Bahnhof durfte er als Initiant und steter Befürworter die offizielle Ansprache halten und dann den Lift einweihen. Niemand geringerer als der Bundespräsident war auch zugegen. Das gab seiner Karriere sicher wieder Auftrieb. Dieter musste nur stets darauf bedacht sein, sein sonnigstes und gewinnendstes Lächeln zu tragen. Die Pillen gegen die Magenschmerzen würden sicher auch helfen, diesen Tag gut zu überstehen.
Joachim und sein Schatten
Kennen Sie das: Sie sind völlig allein in der Wohnung, wirklich kein Lebewesen im Umkreis von mehreren Dutzend Metern. Und trotzdem fühlen Sie sich nicht allein. Sie haben das Gefühl, beobachtet zu werden. Doch wann immer Sie blitzschnell über die Schultern zurück gucken - nichts ist zu sehen. Sie lesen weiter an Ihrem Buch oder in der Zeitung und wieder sind Sie sicher, nicht allein zu sein. Zack, ein Blick zurück und … nichts.
Wir haben dieses Gefühl ab und zu. Möglicherweise eher selten, oder gar nicht. Vielleicht auch nur dann, wenn wir ein schlechtes Gewissen haben weil wir etwas tun, das man nicht sollte. Doch wie wäre es, wenn das Gefühl, - nein: die Gewissheit - dass man beobachtet wird, Sie jeden Tag und auf Schritt und Tritt begleitet?
Joachim könnte Ihnen ein Lied davon singen. Begonnen hatte das Ganze in der Pubertät. Seine Eltern wurden geschieden, als Joachim in die 1. Klasse ging. Er war ein Einzelkind und seine Mutter musste wieder ins Berufsleben. Darum war Joachim sehr viel allein. In der Schule kam er gut mit und hatte etliche Freizeit. Die verbrachte er sehr viel mit Lesen. Irgendwann einmal fand er Zugang zur örtlichen Bibliothek und dort war er dann regelmässig zu Gast. Sei es, dass er ganze Nachmittage dort verbrachte oder auch nur kurz vorbei schaute, um ein neues Buch in Ausleihe zu nehmen. Die vier oder fünf Frauen, die dort Bücher ausliehen, kannten Joachim schon recht bald. Er war ein gerne gesehener Gast. Mit seiner stillen, höflichen, freundlichen und unauffälligen Art schmeichelte er sich eher ungewollt bei den Damen ein. So gab es ab zu auch einmal etwas Süsses für ihn.
Peter leidet
Was war das? Peter schluckte leer und fuhr seinen Wagen an den Strassenrand. Das war um diese Zeit kein Problem, es herrschte kaum noch Verkehr. Irgend etwas muss er wohl überfahren haben. Einen Ast vielleicht? Gleichzeitig kam ihm der Gedanke töricht vor: Ein Ast wird sich wohl kaum geradewegs auf sein Auto zu bewegen. Peter stieg aus, was ihm sichtlich Mühe bereitete. Nicht nur der Schreck war daran schuld. Sicher auch der Alkoholkonsum von heute Abend. Oder eher gestern Abend, denn es war schon kurz nach eins in der Früh. Bei laufendem Motor und Abblendlicht besah er sich den rechten Kotflügel. Viel konnte er nicht erkennen, denn das Licht blendete ihn zu sehr. Aber mit der Hand strich er über das Blech und spürte die kräftige Delle deutlich. Sollte er einfach weiterfahren? Oder umdrehen und nach der Ursache suchen gehen? Vielleicht war es auch ein Mensch gewesen! Peter schauderte ob diesem Gedanken. Mechanisch stieg er wieder in den Wagen, wendete und fuhr ein paar dutzend Meter zurück. Nichts. Gar nichts war zu sehen. Erleichtert wendete er bei der nächsten Querstrasse und fuhr nochmals den Weg, den er in bester Laune vor etwa 10 Minuten gefahren war. Er hatte sogar die Radio-Musik mit seiner unmelodiösen Stimme begleitet; es hört ja meilenweit niemand zu. Und hier draussen störte auch die aufgedrehten Lautsprecher niemanden. Da! Rechts an der Böschung glitt ein dunkler Schatten vorbei. Sofort stoppte Peter und fuhr kurz rückwärts, um dann den Wagen etwas seitwärts abzustellen. Genau vor ihm lag etwas im Gras. Peter konnte nicht erkennen, was es war. Er schaltete das Innenlicht an und erschrak fürchterlich: Seine Hand war voller Blut. Erstaunlicherweise verspürte Peter gar keinen Schmerz. War das der Schock?
Flisch und Fläsch
(Diese Geschichte ist unter dem Namen "Flisch und Fläsch" im Buch "Wellen kämmen" im Frühjahr 2020 erschienen. Das Buch kann direkt beim Verlag oder auch bei mir bestellt werden.)
Der grosse Teich hinter dem noch grösseren Wohnblock war ein Biotop. Dieses lag mittlerweile schon ziemlich gut versteckt zwischen etlichen grossgewachsenen Büschen. Vor etwa 25 Jahren war das noch nicht so gewesen. Frisch angelegt hatte das Biotop steril gewirkt, trotz der sieben neuen Seerosen-Pflanzen und der Halmgewächse am Rand. Die Gärtner hatten sich grosse Mühe gegeben und der Architekt hatte es zugelassen, dass die Uferlinien nicht stur verliefen, sondern in etlichen grossen Schwüngen. So gab es nur einen einzigen Punkt, an dem man den ganzen Teich überblickte und vor dem sich keine noch so kleine Bucht verstecken konnte. Genau hier hatte man eine gemütliche Bank hingestellt, die zum Verweilen und Staunen einlud. Ein paar Jahre später waren nochmals zwei Sitzgelegenheiten an lauschigen Plätzchen montiert worden. Eine inzwischen 14 Meter hohe Tanne am Südufer spendete Schatten, welcher im Laufe der Tage regelmässig die meisten Teichabschnitte querte. Sogar im Hochsommer reichte es zu ein paar Quadratmetern vor Sonnenstrahlen geschützter Wasserfläche.
Ich kannte den Teich, weil in dem Block, hinter dem er lag, einmal mein zu Hause gewesen war. In sogenannt glücklichen Tagen war das gewesen. Seit einigen Jahren wohnte ich nun allein am anderen Ende der Stadt und hatte unendlich viel Zeit. So wanderte ich ab und zu, mit der Zeit immer häufiger, zu diesem Gewässer.
Der alt Esel
Eine Weihnachtsgeschichte fürs Bernaville, Chlousabend 2019
"Das gits doch nid",schimpft der Samichlous. Nähär liest är der Brief no einisch düre, wo vor ihm uf em Schribtisch ligt. Aber da gits kei Zwifel. Si Esel schribt ihm, dass är wölli ufhöre. Die Gschänkli wärde vo Jahr zu Jahr schwärer, der Wäg geng witer und är sigi eifach z alt, für Wiehnachte. Drum chöm är das Jahr nümme mit u blibi im Wald.
Ohni Esel ga Gschänkli bringe? dänkt der Samichlous. Nei, das geit nid. Also muess ig e angere Esel finde. Wohär söll ig jetze - är luegt uf sini grossi Uhr - Mitti Ouguscht, no e Esel finde für d Wiehnachte? Die si doch alli scho usbuechet. Also het är sis Telefon füre gno und a sim Chef aglütet.

