Flisch und Fläsch

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(Diese Geschichte ist unter dem Namen "Flisch und Fläsch" im Buch "Wellen kämmen" im Frühjahr 2020 erschienen. Das Buch kann direkt beim Verlag oder auch bei mir bestellt werden.)

Der grosse Teich hinter dem noch grösseren Wohnblock war ein Biotop. Dieses lag mittlerweile schon ziemlich gut versteckt zwischen etlichen grossgewachsenen Büschen. Vor etwa 25 Jahren war das noch nicht so gewesen. Frisch angelegt hatte das Biotop steril gewirkt, trotz der sieben neuen Seerosen-Pflanzen und der Halmgewächse am Rand. Die Gärtner hatten sich grosse Mühe gegeben und der Architekt hatte es zugelassen, dass die Uferlinien nicht stur verliefen, sondern in etlichen grossen Schwüngen. So gab es nur einen einzigen Punkt, an dem man den ganzen Teich überblickte und vor dem sich keine noch so kleine Bucht verstecken konnte. Genau hier hatte man eine gemütliche Bank hingestellt, die zum Verweilen und Staunen einlud. Ein paar Jahre später waren nochmals zwei Sitzgelegenheiten an lauschigen Plätzchen montiert worden. Eine inzwischen 14 Meter hohe Tanne am Südufer spendete Schatten, welcher im Laufe der Tage regelmässig die meisten Teichabschnitte querte. Sogar im Hochsommer reichte es zu ein paar Quadratmetern vor Sonnenstrahlen geschützter Wasserfläche.

Ich kannte den Teich, weil in dem Block, hinter dem er lag, einmal mein zu Hause gewesen war. In sogenannt glücklichen Tagen war das gewesen. Seit einigen Jahren wohnte ich nun allein am anderen Ende der Stadt und hatte unendlich viel Zeit. So wanderte ich ab und zu, mit der Zeit immer häufiger, zu diesem Gewässer.

Manchmal kamen Mütter mit ihren Kinderwagen zum Teich, eher selten waren schulpflichtige Kinder zugegen, und Jugendliche sah man nur bei Dämmerung oder später. Tagsüber sassen meist ein paar ältere Herrschaften auf den Bänken und beobachteten das Treiben im und am Wasser.

Nun war ich gekommen, um mich vom Teich und all seinen Bewohnern zu verabschieden. Ich hatte den Entschluss gefasst, dieser Stadt und diesem Land den Rücken zu kehren und irgendwo anders von vorn zu beginnen. Dieser Schritt schien mir notwendig, auch wenn ich nicht sicher war, ob ich das durchhalten würde. Also freute ich mich auf die vielen Tiere rund um den Teich, besonders aber auf die beiden Goldfische, die seit etwa zwei Jahren darin lebten und unheimlich zutraulich waren. Ich hatte Brotkrümel in einem kleinen Sack bei mir. Sie sollten mir den Abschied erleichtern.

Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen, sodass ich in Ruhe um den Teich schlendern konnte, ab und zu stehenbleibend, sinnierend, ernst, etwas verkrampft. Meine Gedanken waren nicht im Hier und Jetzt, vielmehr beschäftigten sie sich intensiv mit der ungewissen Zukunft. Ich musste mich vom geplanten Schritt erst noch endgültig überzeugen.

Ich liess mich auf der gemütlichen Bank nieder und stierte ins Wasser. Meine Gedanken kreisten, und so bemerkte ich den Spaziergänger erst gar nicht, der sich behutsam neben mich setzte. Erst als er sich leicht hin und her bewegte, spürte ich die Schwingungen der Sitzfläche. Wir sahen einander an: ein etwas zerknitterter Herr im späteren Mittelalter, mit krausem, ungepflegtem Haar – gegenüber ein etwas jüngerer Herr in schlichter Freizeitkleidung und ohne Schuhe, dafür mit strahlendem Lächeln in einem Gesicht, das von rötlichen, feuchten Haaren eingefasst war.

 ‹Ein komischer Kauz›, schoss es mir durch den Kopf, ‹aber auf keinen Fall unsympathisch›.

«Sie kommen wohl öfters hierher», meinte mein Vis-à-vis, «ich habe Sie schon ein paar Mal beobachtet. Sie heissen Holger, nicht wahr?»

Die Stimme war gewöhnungsbedürftig, aber melodiös. Ich staunte. ‹Treffer›, dachte ich. Und sagte: «Genau. Beides stimmt. Und wer sind Sie? Wohnen sie hier?»

Mein Banknachbar nickte eifrig. Die rötlichen Haare flogen in alle Richtung und – waren das Schuppen?

‹Äch, eklig›, dachte ich noch, da begann er mit seiner Erklärung: «Ja, ja, kann man sagen, dass ich hier in der Umgebung wohne, sozusagen. Hier gefällt es mir einfach, ich möchte nie mehr hier weg. Übrigens heisse ich Hermann, aber alle nennen mich nur Fläsch.»

Was es nicht alles für Übernamen gibt, dachte ich, behielt das aber für mich. Der Ursprung dieses Namens war wohl irgend ein Jugendereignis, wie es bei manchen lebenslange Spuren hinterlässt.

 

Wie die Geschichte weitergeht, steht im Buch "Wellen kämmen", welches im Verlag "Sage und Schreibe" im Frühjahr 2020 erschienen ist. Das Buch kann direkt beim Verlag oder auch bei mir bestellt werden.

 

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