Peter leidet

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Was war das? Peter schluckte leer und fuhr seinen Wagen an den Strassenrand. Das war um diese Zeit kein Problem, es herrschte kaum noch Verkehr. Irgend etwas muss er wohl überfahren haben. Einen Ast vielleicht? Gleichzeitig kam ihm der Gedanke töricht vor: Ein Ast wird sich wohl kaum geradewegs auf sein Auto zu bewegen. Peter stieg aus, was ihm sichtlich Mühe bereitete. Nicht nur der Schreck war daran schuld. Sicher auch der Alkoholkonsum von heute Abend. Oder eher gestern Abend, denn es war schon kurz nach eins in der Früh. Bei laufendem Motor und Abblendlicht besah er sich den rechten Kotflügel. Viel konnte er nicht erkennen, denn das Licht blendete ihn zu sehr. Aber mit der Hand strich er über das Blech und spürte die kräftige Delle deutlich. Sollte er einfach weiterfahren? Oder umdrehen und nach der Ursache suchen gehen? Vielleicht war es auch ein Mensch gewesen! Peter schauderte ob diesem Gedanken. Mechanisch stieg er wieder in den Wagen, wendete und fuhr ein paar dutzend Meter zurück. Nichts. Gar nichts war zu sehen. Erleichtert wendete er bei der nächsten Querstrasse und fuhr nochmals den Weg, den er in bester Laune vor etwa 10 Minuten gefahren war. Er hatte sogar die Radio-Musik mit seiner unmelodiösen Stimme begleitet; es hört ja meilenweit niemand zu. Und hier draussen störte auch die aufgedrehten Lautsprecher niemanden. Da! Rechts an der Böschung glitt ein dunkler Schatten vorbei. Sofort stoppte Peter und fuhr kurz rückwärts, um dann den Wagen etwas seitwärts abzustellen. Genau vor ihm lag etwas im Gras. Peter konnte nicht erkennen, was es war. Er schaltete das Innenlicht an und erschrak fürchterlich: Seine Hand war voller Blut. Erstaunlicherweise verspürte Peter gar keinen Schmerz. War das der Schock?

Eilig – aber trotzdem vorsichtig – wischte er die Hand an einem Taschentuch ab. Er fand keine Verletzung und war sichtlich erleichtert. Wenigstens nicht auch das noch. Am lädierten Wagen irgendwo eine Schramme geholt, Dreck und Blut, Blutvergiftung. Erneut schauderte ihn. Dann stieg er aus und ging auf das dunkle Etwas zu. Schon beim näher kommen sah er, dass es sich um einen Hund handelte. Im Abstand von einem Meter blieb Peter stehen und besah sich das Tier genauer. Es bewegte sich nicht, schien irgendwie zu Grinsen und aus dem Kopf quoll Blut. Wahrscheinlich dasselbe Blut, das an seinem Wagen war und das er vorhin beim Betasten des Kotflügels an seine Hand geschmiert hatte.

Der Hund war tot. Nach etwa einer Viertelstunde kam Peter zu dieser Tatsache. Der Brustkorb des Hundes blieb ohne jegliche Bewegung, kein Geräusch war zu hören, der Kopf seltsam nach hinten verdreht (Genickbruch?) also blieb nur dieser Schluss. Was jetzt? Schon die ganze Zeit hatte er fieberhaft überlegt, was nun zu tun sei. Einfach hier liegen lassen und abhauen? Er musste etwas unternehmen, denn jetzt setzte Regen ein. Wie angekündigt, dachte Peter. Er hatte eigentlich vor dieser Regenfront zu Hause sein wollen. Zu Hause war noch knapp zwanzig Minuten von hier entfernt.

Peter liess die letzten Tage und Stunden durch sein Hirn fliessen, so gut es sein Zustand erlaubte. Da war die ungewöhnliche Besprechung mit seinem Chef gewesen. Die Andeutung, dass er das jüngste Projekt wahrscheinlich vor dem Vorstand durchbringen würde. Die guten Zahlen zum Quartalsabschluss. Der Hinweis auf die bevorstehende Verselbständigung seiner Abteilung und als Krönung die Zusage von heute Nachmittag, dass er diese neue Tochterfirma leiten würde. Als Direktor versteht sich. Dann die kleine Feier zu diesem Anlass.

Und jetzt dieser blöde Zwischenfall: „Betrunken einen Hund getötet“. Oder „Fahrerflucht beim Schermenwald!“. Beide Schlagzeilen konnte er sich derzeit gar nicht leisten.

Liegenlassen oder verstecken? Oder … was gab’s da noch für Alternativen? Peter, der angehende Direktor des neuen Sicherheits- und Ueberwachungs-Institutes begann zu schwitzen. Langsam kroch die Nässe des Dauerregens durch die dünne Jacke hindurch und Peter begann zu zittern. Langsam ging er zum Wagen zurück. Eigentlich erstaunlich, dass in der letzen halben Stunde keiner durch diese Strasse fuhr. Peter öffnete den Kofferraum. Der war leer, bis auf die zusammengeklappten Einkaufskorb und die alte Decke. Langsam reifte ein Plan. Die Idee nämlich, den toten Hund einfach mal im Kofferraum zu deponieren. Der Regen würde die Spuren der Kollision hier vor Ort bald beseitigt haben. Morgen war Freitag und am Samstag konnte er sich dann des Kadavers entledigen. Peter schritt nun wieder etwas forscher aus. Gut, hatte er den alten Allzweck-Mantel immer dabei und auch die Gartenhandschuhe kamen im noch nie so gelegen, wie gerade jetzt. An den Hinterpfoten schleifte Peter den Hund zum Wagen und wuchtete ihn in einem Ruck in den Kofferraum. Dabei bemerkte Peter, dass der Hund so etwas wie einen Lederbeutel fest zwischen den Zähnen verbissen hielt. Doch er achtete sich dessen nicht weiter. Die Handschuhe und den nun ebenfalls blutigen Mantel schmiss er hinterher. Erleichtert stellte Peter fest, dass immer noch weit und breit kein Licht eines sich nähernden Fahrzeuges war. Er stellte ebenfalls fest, dass er das letzte Haus schon vor einigen Kurven hinter sich gelassen hatte und er die nächste Ortschaft erst in drei, vier Minuten durchfahren würde. Soweit hatte er die Lage wieder einigermassen im Griff. Die letzten Kilometer nach Hause liess er das Radio aus, und nach Singen war ihm auch nicht mehr zumute.

Zu Hause liess er seinen Wagen draussen und schloss ihn bewusst ab. Nicht dass sich irgendwer daran zu schaffen machte! Peter genoss noch eine kurze Dusche und fiel dann erschöpft ins Bett. Zu viel war heute passiert, als dass er Schlaf finden konnte. Das Wechselbad der Gefühle „bangen – hoffen – Euphorie – Unfall“ war etwas viel für seinen Organismus und speziell für sein Herz. Er war schliesslich auch schon bald fünfzig, nach einer langen Ehe seit einem halben Jahr geschieden, übergewichtig, workaholic mit ungesunder Ernährung und praktisch keiner Bewegung. Da brachte ihn manchmal schon weniger Hektik, als er sie heute erlebt hatte, ins Schwitzen. Schliesslich fiel Peter doch in einen unruhigen Schlaf. Wen wundert’s, dass er als Schaf eine Herde Hunde hüten musste. Und diese Hunde schauten ihn alle so wissend an. Jeder blutete aus dem Kopf und das Ganze lief in einer gespenstischen Stille ab.

Der Wecker war schliesslich eine richtige Erlösung. Peter stand unverzüglich auf und blieb – entgegen seiner üblichen Gewohnheiten – nicht noch ein paar Minuten liegen, um den Tag zu planen. Oder den letzten Tag noch einmal vorbeiziehen zu lassen. Gerade letzteres wollte er heute unbedingt vermeiden. Also unter die Dusche (das Badetuch war noch richtig feucht, das hasste Peter bis aufs B…; lassen wir dieses Wort), und dann hurtig heisses Wasser über den Sofortkaffe gelöst und schnell aus dem Haus. Er musste unbedingt wieder eine Kaffeemaschine kaufen. Elisabeth, seine Ex, hatte die Maschine behalten, wie so vieles andere, angenehme, auch. Dieser Sofortkaffe hing ihm zum Hals heraus – schon wieder eine Erinnerung an die letzte Nacht.

Nun sass er im Wagen und rollte der Hauptstrasse zu, als er sich seiner Fracht im Kofferraum bewusst wurde. Umkehren? Den öffentlichen Verkehr benutzen? Das passte nicht zu Peter, dem Auto-Freak. Also bog er in die Strasse ein und fuhr sehr, sehr vorsichtig seinem Arbeitsplatz entgegen. Für einmal war er sehr froh, kaum einer Menschenseele zu begegnen. In der Tiefgarage und im Aufzug war er ganz allein und beim zentralen Eingang grüsste er flüchtig ein paar Gesichter, die er in der Firma sicher schon mal gesehen hatte.

Peters Schicksal meinte es heute gut mit ihm. Wegen etlicher Abwesenheiten war die monatliche Sitzung um eine Woche verschoben worden. Und die freitäglichen Besprechungen fielen mangels aktueller Themen fast alle dahin. Einzig das Meeting mit Hunold, dem neuen Mann aus der Buchhaltung, musste sein. Man hatte den Rückblick per Ende Probezeit schon bei seinem Eintritt fixiert. Aber sicher konnte sich Peter wenigstens vom üblichen gemeinsamen Mittagessen drücken. Hunold hatte sicher Verständnis, dass sein Vorgesetzter angesichts der neuen Herausforderung derzeit etliche zusätzliche Aufgaben zu erledigen hatte.

Das Gespräch verlief harzig. Peter wich der drohenden Konfrontation aus. Er war heute nicht in der Stimmung, um seine Argumente in der üblichen Ausdehnung derart überzeugend auszuschlachten – Peter schauderte ob diesem Wort – und sein Gegenüber damit mürbe zu machen. Viel zu früh ging er auf Kompromisse ein und konnte daher auch die notwendigen Korrekturen nicht in der gewünschten Form als absolut nötig und unverzichtbar durchsetzen. Innerlich seufzte Peter und war sich bewusst, dass er damit keine solide Basis für die künftige, wichtige Zusammenarbeit gelegt hatte. Er musste daher in der kommenden Zeit wohl oder übel in langsamer Manier die Veränderungen herbeiführen. Immerhin gelang es Peter  wie erhofft, das gemeinsame Mittagessen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Er war also für den Rest des Tages frei, frei von Verpflichtungen, die ihn mit anderen Menschen zusammen führen könnten. Weniger frei waren seine Gedanken. Die kreisten immer wieder um die Erlebnisse auf der Heimfahrt von letzter Nacht.

Peter beschloss, die Arbeitswoche früher als sonst üblich zu beenden. Er klemmte sich einen Stoss Akten unter den Arm – zum Durchlesen übers Wochenende – und verliess zeitig das Gebäude, das Quartier, die Stadt. Auf dem Weg nach Hause kaufte er im Supermarkt noch ein paar Dinge fürs Wochenende ein. Beim Befahren der Unfallstelle sah Peter, dass kaum mehr Spuren des Zwischenfalles zu sehen war. Der Regen hatte in der Nacht nicht nur das Blut von der Strasse geschwemmt, auch an seinem Wagen war heute früh nur noch die Beule auszumachen gewesen. Erleichtert fuhr Peter den Rest des Weges. Vielleicht ging die Geschichte ja noch einmal glimpflich zu Ende. Am Abend schaute Peter ohne grosses Interesse etwas fern, bevor er sich hundemüde – nein, sagen wir todmüde – das ist zwar auch nicht besser – einfach müde zu Bett legte.

Wen wundert’s, dass die Träume der letzten Nacht wieder bei Peter zu Gast waren? Erneut musste er als Schaf eine Hunde-Herde hüten, doch die Hunde waren nicht mehr so ruhig und traurig, wie im letzten Traum. Sie forderten ihn richtig gehend heraus und Peter musste immerzu um die Herde rennen. Erstaunlicherweise – das merkte er erst gegen Ende des Traumes – hatte er als Schaf keine Hufe sondern Hundepfoten. Und er bellte. Bellte, wie ein richtiger Hund. Ja richtig, und die Hunde blökten ihn dauernd an. Irgendwann vor Tagesanbruch erwachte Peter völlig schweissgebadet. Jede einzelne Szene in seinem Traum konnte er aus dem Gedächtnis abrufen. Er trank ein Glas kalte Milch – hatte er gestern übrigens vergessen, neue zu kaufen – und legte sich dann wieder hin. Allerdings liess er das Licht an.

Peter zwang sich, die Beseitigung des Hundekörpers zu planen. Haargenau zu planen, das würde ihn ablenken. Er kannte, dank seiner unternehmenslustigen Exfrau, etliche abgelegene Orte, wo man sich einer solchen Sache sicher ungestört entledigen konnte. Peter beschloss, es zuerst bei der alten Mühle zu versuchen. Dort waren selten Wanderer anzutreffen und der Boden dürfte nicht allzu hart sein. Doch auch so würde es ihn sehr viel Anstrengung kosten. Peter sah das irgendwie als den Preis an, den er bezahlen würde, um aus der Sache ungeschoren davon zu kommen. Er war sich auch sicher, dass alsdann die Alpträume zu Ende waren.

Sollte es bei der alten Mühle nicht klappen, so käme noch der ehemalige Verbindungsweg beim Kraftwerk in Frage. Dort hatte es links und rechts je hunderte von Metern Wald mit schier undurchdringlichem Dickicht. Seit vor ein paar Jahren die neue, kürzere und sichere Verbindung gebaut worden war, war dort kaum mehr etwas los. Und schliesslich handelte es sich ja auch nur um einen Hund. Sicher, der würde jemandem fehlen. Aber Hunde laufen zuweilen auch schon mal von zu Hause weg und verenden irgendwo. Zufrieden mit sich selber, schlief Peter dann doch noch für eine kurze, traumlose Zeit ein.

Frisch gestärkt erwachte Peter mitten im Vormittag. Er zog sich Gartenkleider an. Beim hastig herunter geschlungenen Frühstück überlegte er sich noch, zur Tarnung in der nahe gelegenen Gärtnerei etwas Grünes zu besorgen um dies dann vorn in den Garten zu pflanzen. Dass der Garten ohnehin schon voll war, störte ihn im Moment nicht. Man sollte zwar eher roden, aber eben. Grün ist schliesslich grün. Zufrieden pfeifend fuhr er kurz darauf davon.

Bei der alten Mühle angekommen, stieg Peter aus und schlenderte in der Umgebung herum. Ab und zu schaute er durch das Fernglas (eine weitere Tarnung) und schien die Gegend zu beobachten. Er war nicht zufrieden mit dem, was er sah. Er müsste mit dem Wagen rückwärts in einen Weg einbiegen können, einen Weg, der dort geschützt vor Blicken war. Das ging hier kaum. Er beschloss daher, Plan B zu konsultieren. Schon beim Heranfahren sah Peter, dass dieser Ort weitgehend so geblieben war, wie er ihn in Erinnerung hatte. Verwildert, enges Dickicht, das schien zu passen. Wiederum streifte er – ab und zu das Fernglas benutzend – umher. Nirgends eine Menschenseele zu erblicken. Peter setzte sich auf einen Stein und ass den mitgebrachten Nussstollen.

Etwa drei Stunden später war das Werk vollbracht. Keuchend und schwitzend sass Peter wieder auf demselben Stein. Er war erleichtert, zufrieden und irgendwie doch erregt. Würde tatsächlich niemand etwas merken? Die Sache war sehr gut gelaufen. Völlig ungestört vor Menschen und ohne, dass ihn jemand beobachten konnte, hatte er den Hundekadaver in das vorher ausgehobene Loch gelegt. Dabei war ihm wieder der Lederbeutel aufgefallen, der sich bei Tageslicht als gute Geschäftsmappe entpuppt hatte. Sie war allerdings verschlossen und so entsorgte sie Peter zusammen mit dem toten Tier. Die Wurzeln hatten ihn noch heftig gefordert. Aber wo sein Wille war, da gab’s auch den Weg zum Ziel! Sorgen bereitete ihm noch der verschmutzte und übel riechende Kofferraum. Da hatte er noch keine Lösung. Aber sein Hauptproblem war nun gelöst. Hier konnte er nun auch die Beule am rechten Kotflügel ausgiebig betrachten. Der Lack war an etlichen Orten abgesplittert. Auch die Stossstange hatte einiges abbekommen, aber das Licht war noch völlig intakt. Blutschmierer und Fellfetzen fand er keine. Hatte er beim Wenden die Distanz verschätzt und einen Stein gestreift? Dieses Problem zu lösen, das war eine weitere Herausforderung. Peter zog sich die Stiefel aus und die Strassenschuhe an. Da hatte er die Idee: Was war schon dabei, den Schaden mit einem „echten“ Schaden noch zu ergänzen. Der Stein von vorhin hatte wohl gerade die richtigen Masse. Peter schätzte den Wendekreis und die Geschwindigkeit, den nötigen Winkel und dann handelte er kaltblütig. Das hässliche Geräusch war unvermeidbar und hinterliess eine dicke, schwere Furche in seinem Auto-Herz. Mit mulmigem Gefühl stieg Peter aus und betrachtete das Ergebnis der Rempelei. Anerkennend sah er, dass seine Berechnungen aufgegangen waren. Eine hässliche Schramme lag nunmehr über dem bisherigen Schaden und verdeckte ihn völlig. Auf der Strecke zurück zur Strasse wich Peter den teilweise nahe am Weg stehenden Büschen bewusst nicht aus, vor allem auf der rechten Seite. Er vergass auch nicht, den Strauch in der Gärtnerei zu besorgen. Noch am selben Nachmittag setzte er ihn in einer unauffälligen Ecke auf seinem Grundstück. Dann genehmigte sich Peter ein Bier und war mit sich sehr, sehr zufrieden.

Das Wochenende verlief unauffällig und wie erhofft, blieben die Alpträume weitgehend aus. Am Montag vereinbarte Peter einen Termin bei der Garage, um die Schramme am rechten Kotflügel beseitigen zu lassen. Nein, ein Versicherungsfall werde das nicht, man müsse keinen Experten aufbieten. Reines Selbstverschulden und damit aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Damit war auch das eingefädelt. Blieb noch der Schmutz im Kofferraum zu beseitigen. Das musste vor dem Termin bei der Garage sein. Peter schien, als würde der Geruch auch schon beim Fahren vom Kofferraum nach vorn dringen. Er schüttete ein starkes Parfum hinein, was auch nicht wirklich weiter half. Nun stank es einfach etwas anders. Und viel penetranter! Zu Hause liess er den Kofferraumdeckel offen, damit sich der Geruch verflüchtigen konnte. Doch auch das half nichts. Darum schnitt Peter schliesslich mit einem scharfen Messer die Abdeckung auf, franste die Ränder aus und bestellte beim Garagisten einfach eine neue. Ob der die Geschichte vom Müllsack mit der zerschlagenen Flasche und der zerfetzten Abdeckung glaubte oder nicht, das konnte Peter weder am Telefon noch beim Vorbeibringen des Wagens herausfinden. Egal, bald waren die letzten Spuren dieses lästigen Zwischenfalls beseitigt.

Knapp eine Woche später nahm Peter den reparierten und wieder völlig instand gestellten Wagen mit gemischten Gefühlen entgegen. Der Garagist erklärte die gemachten Arbeiten und die detaillierte Rechnung, die Peter nicht heftig interessierte. Trotzdem hörte er sehr aufmerksam zu. Doch niemandem schien etwas aufgefallen zu sein oder hielt sich bemüssigt, unangenehme Fragen zu stellen oder Bemerkungen zu machen. Mit einem grosszügigen Check und etlichen Lobesworten schloss Peter diese Affäre dann endgültig ab.

Nur sehr selten wurde er daran erinnert. Etwa, wenn er einen genauso schwarzen Hund mit ebenso zottigem Fell sah. Oder zwischendurch noch in seinen Träumen.

Rund vier Monate nach diesem Zwischenfall sass Peter eines Abends spät noch im Büro und arbeitete einen längeren, geheimen Bericht durch. Die Kollegen waren längst gegangen und die Putzfrau hatte auch schon ihre Runden gedreht. Irgendwann hatte Peter die rund 40 Seiten durch und lehnte sich erschöpft zurück. Nun noch die Randmarkierungen auf einen Spickzettel zusammenfassen, dann konnte er morgen früh dem Vorstand in seiner Rede die wesentlichen Punkte glasklar vorlegen. Peter stapelte den Bericht daher wieder in die richtige Reihenfolge und begann mit seinem Handzettel. Auf der zweiten Seite sprang ihm die verschwommene Text-Stelle direkt ins Auge. Ziemlich weit unten war ein Fleck. Hatte er einen Tropfen Tee verschüttet? Nein, während der letzten Stunde hatte er keine Getränke auf dem Pult gehabt. Komisch. Und ärgerlich dazu, denn der Bericht sollte den Vorstandsmitgliedern im Original nachgeliefert werden. Da musste halt die zweite Seite nochmals ausgedruckt werden. Hoffentlich kam seine Sekretärin früh genug. Peter konnte den Text leicht entziffern und arbeitete weiter. Aber was war das? Auf der vierten Seite wiederum – und diesmal unverkennbar – Tropfen. Gleich drei nebeneinander. Peter roch ganz vorsichtig am Papier, um die Herkunft der Tropfen erkennen zu können. Sicher kein Tee- oder Kaffee-Aroma, eher ein übler Geruch schlug ihm entgegen. Verärgert blätterte Peter die weiteren Seiten durch und entdeckte zunehmend Tropfen auf dem heiklen Bericht. Gegen Schluss waren gleich dutzende Kleckereien zu entdecken, ab Seite 32 waren sie gar noch leicht feucht.

Peter zerzauste sich die Haare. Wie war das möglich? Irritiert stand er auf und holte sich im Flur ein Glas Wasser aus dem Spender. Er lockerte die Krawatte und zuckte elektrisiert zurück: Um seinen Hals baumelte ein feuchter Stofffetzen. Rasch ging er in die Toilette, um das Ganze bei gleissendem Neonlicht im Spiegel und aus der Nähe zu betrachten. Tatsächlich war die Krawatte ziemlich nass und auch am Hemd hatte es feuchte Spuren. Was soll das, schoss es ihm durch den Kopf. Er schloss die Augen ganz fest, bis es schmerzte und öffnete sie langsam wieder. Aber alles war noch wie vorhin. Er ging noch näher zum Spiegel und sah auf einmal, dass aus seinem halboffenen Mund ein permanenter Speichelfluss auf sein Hemd und den Schlips tropfte. Die Hose wies auch schon Spuren auf.

Eilig schrieb Peter seiner Sekretärin einen grossen Notizzettel mit der Bitte, den Bericht nochmals auszudrucken, weil er ein zweites Exemplar brauche. Vielleicht würde sie ja nicht zurückfragen oder ihm fiel eine plausible Erklärung ein, weshalb zusätzlich zu den nummerierten Ausgaben eine weiteres Exemplar benötigt würde. Ach ja, er musste nur deutlich erkennbare Kaffeespuren hinterlassen und dann war das Ding geritzt.

Auf dem Heimweg dachte Peter ernsthaft daran, bald für ein paar Tage auszuspannen, wahrscheinlich würde ihm eine Pause wieder etwas Stabilität verleihen.

Die Orientierungs-Sitzung am nächsten Tag verlief gut. Peter lief zu einer bemerkenswerten Hochform auf und steigerte sich im Laufe der Präsentation in einen wahren Rede-Rausch. Er genoss seinen Auftritt richtiggehend. In der nachfolgenden Fragerunde konnte Peter alles einwandfrei beantworten. Nur die lästigen Bemerkungen eines jüngern, neuen Vorstandsmitgliedes irritierten und ärgerten ihn mit der Zeit.

Fröhlich ging Peter wieder zurück in sein Büro, bedankte sich auf dem Weg dorthin nochmals ausgiebig bei seiner Sekretärin für den nachgelieferten Bericht (er hatte ihr den kaffeedurchtränkten Originalbericht als „Beweis“ gelassen). Gegen Mittag rief ihn sein Chef zu sich, um gemeinsam den Lunch im Personalrestaurant einzunehmen. Sein Chef gratulierte Peter zu seinem hervorragenden Auftritt von heute früh. Allerdings, so bemerkte er mit sehr besorgter Miene, müsse man dem jungen Archibald mehr Freiraum geben. Immerhin sei er in sehr direkter Linie vom Mehrheitsbesitzer abstammend. Es habe ihn schon etwas gewundert, wie Peter die Voten dieses jungen Mannes abgewürgt und ihn regelrecht angeknurrt und angebellt habe. Er wolle ihm keine Vorschriften machen, würde es aber sehr begrüssen, wenn sich Peter noch heute mit dem jungen Mann treffen und die Sache unter Gentlemen bereinigen könnte. Gerne erwarte er morgen einen Bericht über diese Aussprache, sagte der Chef, und verliess das Restaurant. Peter versuchte, das eben Gehörte zu verdauen und blieb noch eine ganze Weile sitzen. Sobald er sich wieder gefasst hatte stand er auf und nahm mit leicht zittrigen Händen sein Tablett auf. Dabei rutschte ihm das Messer vom Teller. Eilig bückte sich Peter und stellte erleichtert fest, dass kaum mehr Leute hier waren und ihn sicher niemand beobachtet hatte. Als er das Messer aufnehmen wollte, staunte er: Vom Teppich unter seinem Stuhl war praktisch nichts mehr zu sehen, der weg gescheuerte Flor lag ringsum. Dabei war doch die Kantine erst vor ein paar Monaten erneuert worden. Eilig verliess Peter den Ort und kehrte in sein Büro zurück. Dort schloss er sich ein und versuchte einen Grund zu finden, mit Archibald in Kontakt zu treten. Peter hatte an sich nicht vor, sich zu entschuldigen. Er wollte eher fühlen, was sein Kontrahent aus der heutigen Sitzung mitgenommen hatte. Vielleicht, sogar wahrscheinlich, hatte nur sein Chef den Gesprächsverlauf so einseitig wahrgenommen. Endlich hatte er sich genug vorbereitet und rief Archibald an.

Das Gespräch verlief sehr stockend. Sein Chef war nicht die einzige Person, die Peters Verhalten so interpretiert hatte. Doch schliesslich einigte man sich. Nach einer guten halben Stunde war das anstrengende Gespräch beendet. Peter hatte sich stets wiederholt und erklärt, dass er immer nur das Resultat des Berichtes vor Augen hatte und niemals jemanden angreifen wollte. Es war auch nie die Absicht, die ausgewogenen Argumente eines vifen, jungen und aufstrebenden Vorstandes im Keime zu ersticken. Er, Peter, sei wohl einfach zu sehr in Fahrt gewesen.

Erleichtert stand Peter auf und öffnete das Fenster. Dieses Gespräch hatte in sehr in Anspruch genommen. Er schwitzte, trotz angenehmer Raumtemperatur. Und überall verspürte er ein Kribbeln, so dass er sich – zuerst zögerlich, dann immer heftiger – am ganzen Körper zu kratzen begann. Am Fenster drehte er sich um und da fiel ihm der grosse Fleck unter seinem Pult auf. Der stierte ihn richtig gehend an. Grossflächig war der Teppich weggeschabt. Einfach weggekratzt  und der Betonboden war deutlich zu sehen. Hatte er das während des Telefonates gemacht? In zwei, drei Sprüngen (seit wann springt ein Direktor, dachte Peter noch) war Peter beim Pult und schnüffelte am Boden herum. Der Teppichflor war – wie schon in der Kantine vorhin – rings um das Loch herum an den Rand geschoben worden und beim leichten Pusten wirbelte er davon. Die herumwirbelnden Teile stiegen in seine Nase und Peter putzte mit dem Handrücken an seiner Nase herum, um ein Niesen zu vermeiden. Erschrocken betrachtete Peter seine Hand, die auf einmal wesentlich behaarter war, als er sie je in Erinnerung hatte. Er setzte sich – immer noch am Boden – auf seine angewinkelten Knie und leckte die rechte Hand ab. Speichel tropfte auf sein Hemd, die Hose und auf den Boden. Winselnd betrachtete Peter die sich ausbreitenden Flecken. Was sollte er tun? Was ging da ab? Wann erwachte er aus diesem unsinnigen, blöden Traum? Wo konnte er Hilfe holen? Peter stand etwas auf und lief auf allen Vieren dauernd im Kreis herum.

Erst nachdem alle längst gegangen waren, wagte sich Peter aus dem Büro. Ganz an die Wand gedrückt lief er in sehr gebückter Haltung der Wand entlang, seine Mappe fest unter die Arme geklemmt. Immer dem Schatten nach schlich er aus der Stadt. In einer Pfütze schlabberte er etwas Wasser, um den gröbsten Durst zu stillen. Auf einer Bank setzte er sich schliesslich hin, wobei einem Fremden wahrscheinlich aufgefallen wäre, dass er die Beine angezogen ebenfalls auf der Bank platziert hatte. Peter wusste keinen Ausweg mehr. So war es mehr Reaktion denn überlegtes Handeln, als er bei sich näherndem Motor die Mappe zwischen die Zähne klemmte und mit zwei, drei Sätzen auf die Strasse sprang, direkt vor eine grosse Motorhaube…

13.07.2008 / 18.04.2020 - Jürg Frei

 

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