Kurzgeschichten
Alfie und die Frühlingszeit
Alfie war wieder in seinem Element. In seinen Kreisen genoss er – und das nicht zu Unrecht – den Ruf eines Mathematik-Genies. Keine Aufgabe schien ihm unlösbar. Dementsprechend war natürlich auch der Preis für seine Dienstleistungen entsprechend. Und das immer in bar, darauf legte Alfie grossen Wert.
In der Schule war noch nicht sonderlich viel von seiner Begabung zu spüren gewesen. Das lag sicher auch daran, dass er öfters die Schule wechseln musste. Seine Mutter arbeitete in Bars und Kneipen, die oftmals schlossen; oder besser gesagt: behördlich geschlossen wurden. Andererseits gab sich Alfie auch nie sonderlich Mühe, im Unterricht Schritt zu halten, sofern er tatsächlich die Schulbank drückte. Mit Gelegenheits-Jobs verdiente er sich schon in der Oberstufe ein ansehnliches Taschengeld.
Aber jetzt war er nicht auf einer bezahlten Tour, sondern ganz in eigener Sache, quasi als Selbständiger unterwegs. Das Ding hatte ihn ganz schön viel Zeit gekostet. Allein für die nötigen Beobachtungen gingen einige Wochen drauf. Aber es dürfte – nein es musste – sich lohnen, davon war Alfie überzeugt. Und dann die tage- und nächtelangen Berechnungen, eben seine Stärke: Zeitpläne mussten durchgespielt und alle Aktivitäten sorgfältig eingeübt werden. Wie oft hatte er in seinem Wohnzimmer die Möbel beiseite gestellt, mit leeren Kartonschachteln oder andern Hindernissen den Raum dargestellt und alle Bewegungen eingeübt. Schliesslich kann man einen Marathonlauf auch nicht als simpler Spaziergänger angehen. Und das Drehbuch hatte ihn noch mehr Mühe gekostet. Mit Zahlen konnte Alfie umgehen, wie kaum ein zweiter. Aber mit Buchstaben hatte er so seine liebe Mühe.
Eugen und das Spiegelbild
Eugen Sommer lebte ein ganz normales Leben. Wenigstens die bisherigen 43 Jahre lang konnte man das ein normales Leben bezeichnen. Jeder von uns, der in irgend einem Irrsinn vegetieren musste, hätte jederzeit gerne mit Eugen getauscht. Aber Eugen sah das nicht ganz gleich. Sein Leben war eine einzige gerade Schnur, wenn man das so sagen darf. Oberschule reihte sich an Grundschule, dann folgte eine kaufmännische Lehre mit durchschnittlichem Abschluss. Alsdann ein dreimonatiger Sprachaufenthalt in Frankreich, die militärische Grundausbildung und mit 23 zog er zu Hause aus. Fünf Jahre später heiratete Eugen und zusammen mit seiner Frau bewohnt er seither eine Vierzimmer-Wohnung am Stadtrand. Kinderlos. Leider. Einmal in der Woche geht er zusammen mit Kameraden in einen Gesangsverein und bleibt dann noch auf ein Bier (selten sind es zwei) in der Wirtschaft. Daneben sammelt er Briefmarken und liest gerne Science-Fiction-Bücher. Erstaunt Sie zu vernehmen, dass Eugen in der Lehrfirma blieb und schon in wenigen Monaten sein 25-jähriges Jubiläum feiern kann? Wohl kaum. Seine Frau hatte nie aufgehört zu arbeiten und ist heute zu 60 % in einer Speditionsfirma in der Buchhaltung angestellt. Im Gegensatz zu Eugen ist das schon etwa die elfte Anstellung. Immer lief sich ihr Job tot, wie sie zu sagen pflegte. Sie braucht dauernd neue Herausforderungen. Einzig Konstantes in ihrem Leben ist das Engagement in einer kleinen Vorortsgemeinde. Es ist der Ort, an dem sie als Jugendliche aufwuchs. Dort ist sie in vielen Ämtern tätig, kümmert sich um die älteren Menschen, leitet den Turnverein, kocht im Winter für die Schulkinder Mittagssuppe und arbeitet regelmässig aktiv bei der Kommission zur Dorfverschönerung mit.
Frank kriegt ein Geschenk
Frank mochte sich nicht erinnern, jemals an diesem Wettbewerb teilgenommen zu haben. Aber der junge Mann – von eher schmächtiger Statur – beharrte darauf, dass er, Frank, den Hauptpreis gewonnen habe. Zwei Wogen wallten in Frank aufeinander. Einerseits wusste er einfach, an diesem Wettbewerb nicht mitgemacht zu haben. Und wenn er etwas wusste, dann war ihm die Meinung der ganzen restlichen Welt egal. Nur auf ihn kam es an. Immer nur auf ihn. Zum andern war da seine Eigenheit, immer alles zu nehmen, was man ihm anbot. „Du bist der einzige, der zu Dir schaut“ pflegte er zu sagen. Und zu sich schaute er immer besonders gut.
Er blickte vom Zertifikat auf, das er noch immer in Händen hielt, und starrte den jungen Mann eindrücklich an. Dieser wich nochmals eine Treppenstufe zurück, so dass er nun fast ebenerdig stand. Frank hingegen blickte von der fünfstufigen Veranda hinunter. Noch bevor Frank den Mund aufmachen konnte, erklärte der junge Mann ihm eilfertig nochmals das Ganze. Es sprudelte richtig aus ihm heraus: „Mein Chef hat mich gestern beauftragt, Ihnen heute diesen Umschlag mit den besten Glückwünschen zu überbringen und dafür zu sorgen, dass heute Abend das Feuerwerk hier zu Ihrer vollen Zufriedenheit abläuft. Leider kenne ich mich in dieser Gegend nicht sonderlich gut aus, Ihr Haus ist ja auch etwas … ähm … weiter entfernt von der Strasse, darum komme ich erst jetzt, aber ich könnte umgehend mit der Arbeit beginnen, so dass das Feuerwerk heute Abend hier an dieser Bucht voll zur Geltung kommt.“
Max und sein neuer Name
Eigentlich sollte man von einem 29-jährigen jungen Mann schon etwas Reife verlangen können. Sicher, Spontaneität, Wutausbrüche oder irgendwie heftige Reaktionen auf etwas Neues gehört zur Tagesordnung. Und das Vokabular der heutigen Jugend ist auch nicht immer über alle Zweifel erhaben. Dass sich aber ein bald Dreissigjähriger immer noch über seinen Namen ärgerte, das war schon – sagen wir mal: aussergewöhnlich. Zumal es nicht ein fürchterlich unpassender Name war. Viele unter uns könnten mit einem „von Tobel“ schon sehr gut zu Wege kommen. Auch „Max“ ist ein nicht unseriös klingender Vorname. Was aber hier unseren jungen Mann störte, war die Kombination von beidem: „Max von Tobel, wer will schon so heissen“, stöhnte er dann.
Mit zahlreichen Amtsstellen hatte Max von Tobel schon Kontakt gehabt. Immer hiess es, dass an diesem Namen nichts Anstössiges oder Ehrverletzendes sei, auch die Schreibweise gebe nicht dazu Anlass, Missverständnissen vorzubeugen, etwa bei amtlichen Sachen oder so. Und trotzdem war es mittlerweilen schon mehr als eine Beschäftigung geworden. Eine richtige Macke.

