Kurzgeschichten
Stefan im Winter
(Diese Geschichte ist unter dem Namen "Die Hütte" im Buch "Snezanas Lied" im Herbst 2017 erschienen. Das Buch kann direkt beim Verlag oder auch bei mir bestellt werden.)
Nur noch eine knappe halbe Stunde würde sein Dienst dauern, dann war es da, das langersehnte, lange Wochenende. Verzückt schaute Stefan Kalt die grosse Wanduhr auf dem Revier an und beschwor den Sekundenzeiger, mal eine flottere Runde zu drehen. Es war Mittwochnachmittag, gegen halb fünf Uhr, draussen bereits dunkel, und erst am Sonntag gegen zehn Uhr abends sollte er wieder hier auf der Wache in Oberthal sein. Skifahren! Endlich wieder einmal auf die Bretter. Wie lange hatte er darauf verzichten müssen. Letzte Saison die Sache mit dem verletzten Knie, das Jahr zuvor die Ausbildung und im Herbst nun der fehlende Schnee. Aber jetzt, jetzt war es endlich soweit.
Schon seit Wochen zählte er die Tage rückwärts, bis zu diesem Kurzurlaub im neuen Jahr. Die Feiertage waren hektisch gewesen. Nebst den üblichen Randalierern und Besoffenen hatte der überraschende Wintereinbruch mit ein paar Autokollisionen und der geborstenen Wasserleitung in der Schule zusätzliche Arbeitsstunden gefordert. Na gut, zwei erkrankte Kollegen hatten auch noch gefehlt und dazu beigetragen, dass hier sehr viel los war. Anfangs Januar bei Vollbesetzung und erstaunlich milden Temperaturen war dann fast etwas Langeweile aufgekommen. Die Berichte waren geschrieben und sogar stilistisch aufgepeppt worden. War es überhaupt schon mal vorgekommen, dass ein Polizist den Bericht verfasste und ein anderer ihn nochmals durchlesen und verbessern konnte? Wenn das der Chef wüsste, das gäbe ein Thema für den nächsten Workshop. Kalt verdrehte die Augen. Sein grösstes Problem war – wegen des milden Wetters – einen geeigneten Skiort zu finden. Aktuell musste man schon auf 2500 Meter über Meer gehen. Darunter hatten Föhnwinde und Regen die Pisten aufgeweicht und in einen miserablen Zustand versetzt. Ein Hotelzimmer zu finden dürfte auch nicht all zu einfach sein. Jahresbucher hatten Vorrang. Oftmals waren dann die Zimmer nur für eine ganze Woche zu buchen. Und die dauerte von Samstag zu Samstag. Somit schnitt er mit Mittwoch oder Donnerstag bis Sonntag gleich zwei Ferienwochen. Tja, das war halt nicht zu ändern. Sollte er sich nach einer Skihütte umsehen, etwas weiter weg von der Piste? Aber für sich alleine?
Das Biepen des Computers riss ihn aus den Gedanken. Neue Nachricht erhalten. Nun, er war ja noch im Dienst und hatte die Pflicht, zu reagieren. Der ebenfalls diensthabende Meyer zwo war mit Garantie irgendwo in der Garage. Das war sein Gebiet, Mechanik, Motoren, ja auch Öl und Schmutz. Aber „Komputer“ – nein, Hände weg von dem modernen Zeugs. Da musste halt Kalt ran. Aha, Lesen bestätigen. Also wichtig. Absender codiert. Ergo von der Zentrale. Betreff nur Zahlen: Somit eine laufende Akte. Stefan bestätigte den Erhalt, öffnete das Mail und las mit zunehmendem Unbehagen den Text.
Dieter Winter war ausgebrochen. Verurteilter Mörder. Batzenberg. Bezug zu Oberthal. Hochsicherheit. Sicher bewaffnet. Mit rücksichtslosem Waffengebrauch war zu rechnen. Unberechenbar. Und dann Fotos. Gute Qualität. Das war so knapp zusammengefasst der Inhalt der unerfreulichen Nachricht, die Stefan Kalt seinen Kollegen – die neue Schicht war inzwischen vollständig eingetroffen – übermittelte. Alle nickten, jeder hatte schon von Winter gehört. Das war der letzte grosse Fall gewesen, den es in den vergangenen Jahren hier in Oberthal gegeben hatte.
Wie die Geschichte weitergeht, steht im Buch "Snezanas Lied", welches im Verlag "Sage und Schreibe" im Herbst 2017 erschienen ist. Das Buch kann direkt beim Verlag oder auch bei mir bestellt werden.
