Gregor in der Altstadwohnung

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Gregor war ein Auswärtiger. Das hörte man nicht nur an seinem Dialekt, er kleidete sich auch etwas eigenartig. Vielleicht würde das in sieben, acht Jahren wieder als schick gelten. Aber derzeit war das total daneben. Auf alle Fälle war das die einhellige Beurteilung seiner Bürokollegen. Nun, Gregor war nicht zufällig in dieser Stadt gelandet. Er sah sich leider gezwungen, seinen Lebensmittelpunkt um einige Hundert Kilometer zu verschieben. Sein Ruf war – gelinde gesagt – etwas ramponiert. Doch Gregor war fest entschlossen, solche Eskapaden in der Vergangenheit ruhen zu lassen. Gut möglich, dass seine steife, fast ins Lächerliche schweifende Bekleidung ihm den nötigen Rückhalt gab. So wirkte er unnahbar, auch wenn sich etliche Leute nach ihm umdrehten, wenn er durch die Strassen nach Hause lief. Schlendern konnte man dieser hastigen, ungelenken Fortbewegung wirklich nicht sagen. Noch drolliger sah Gregor hingegen aus, wenn er den Weg zur Arbeit auf seinem Fahrrad zurücklegte. Seine spitzen Knie ragten dann manchmal wie die eckigen Klammern auf einer Schreibmaschinen-Tastatur in die Strasse hinaus. Die weiten Hosenbeine flatterten wild um seine dünnen Beinchen herum. Gerade so, als wollten sie diese mit aller Kraft von den Pedalen zerren. Karo schien Gregors Lieblingsmuster zu sein. Oder etwas präziser: Das einzige, das er kannte. Selten, sehr, sehr selten war es eine Kleidung in einer einfarbigen Ausführung. Dann war man sich ziemlich sicher, dass Gregor einen auswärtigen Termin wahrnehmen musste oder sich wichtige Kundschaft angemeldet hatte.

Doch eine Person, eine einzige Dame in fortgeschrittenem Alter aus dieser Stadt fand grossen, nein, riesigen Gefallen an Gregors Art, sich zu kleiden, sich zu bewegen, zu sprechen. Nicht dass sich Graziella verliebt hätte, bei Weitem nicht. Aber sie war beeindruckt von der gradlinigen, einfachen Art und der Beharrlichkeit mit der sich Gregor in dieser modernen, schwankenden und unsteten Welt immer gleichartig benahm. Es wirkte schon fast etwas stur, wenn man die Situation ehrlich und unbefangen betrachtete. Gut, zu Beginn ihrer Beziehung rümpfte Graziella schon etwas die Nase. Sie war sich absolut sicher, dass dieser „Spinner“ – ja das dachte sie seinerzeit vor etwa sechs Jahre wirklich – eben dass dieser Herr nicht lange in ihrer Mietwohnung bleiben würde. Damit ist nun auch dem Leser klar, was die beiden allein stehenden Personen verbindet: Ein schmuckes, uraltes Altstadthaus, in welchem die beiden in verschiedenen Wohnungen zu Hause sind. Sie als Besitzerin im obersten Stockwerk und er als ihr Mieter eine Etage tiefer, im dritten Stock. Zwei weitere Wohnungen waren an unscheinbare Parteien vermietet. Gegenüber von Gregor lebte eine Familie mit zwei schon erwachsenen Töchtern. Die jüngere war bereits ausgezogen und die ältere schien einen Beruf mit etlichen Auslandaufenthalten zu haben. Manchmal war sie wochenlang unterwegs und dann wieder drei Wochen lang jeden Tag zu Hause. Im ersten Stock lebte eine Dame mittleren Alters, die wahrscheinlich ein Geschäft führte und sehr zurückgezogen lebte. Gleich daneben gab es noch ein Rentner-Ehepaar. Das verbrachte hingegen sehr viel Zeit im Ausland. Wahrscheinlich in einem zweiten oder gar dritten Wohnsitz. Vielleicht auch bei einem ihrer Kinder? Niemand wusste etwas und es war eigentlich auch allen egal. Die Miete zahlten sie jeweils pünktlich, und das wusste Graziella zu schätzen. Der Estrich war zu gleichen Teilen auf die Wohnparteien aufgeteilt. Im Parterre hatte es noch zwei Geschäfte. Da wechselte der Mieter ab und zu und Graziella hatte schon öfters rechtliche Mittel einsetzen müssen, um die Miete einzutreiben. Das war nun auch wieder so ein Berührungspunkt zwischen den beiden. Gregor arbeitete irgendwo bei der Stadtverwaltung. Davon hatte er Graziella eigentlich nie ein Wort gesagt, bis sie beide vor etwa zwei Jahren an einem bitterkalten Wintertag nebeneinander vor der verschlossenen Haustür standen und gleichzeitig versuchten, mit klammen Fingern ihre Schlüssel hervor zu klauben, um endlich ins warme Innere zu gelangen. Da war Graziella ein schwerer Seufzer entfahren, für den sie sich augenblicklich entschuldigte. Aber es war ein harter Tag für sie gewesen. Ein trauriges Ereignis jährte sich genau heute und vom Betreibungsamt hatte sie vor knapp einer Stunde erfahren, dass der letzte Mieter wohl nie mehr seine Schulden von doch einigen Tausend Franken würde berappen können. Kein erfreulicher Tag also, für eine Dame jenseits der siebzig. Gregor fühlte irgendwie, dass er Graziella nicht allein lassen konnte und darum schlug er das Angebot, auf eine Tasse Tee vorbei zu kommen, nicht aus. Leider fand er keine Biskuits, die er hätte mitnehmen können und so kam er halt mit leeren Händen zu Graziella in den obersten Stock. Er staunte immer wieder, wie Graziella ohne Mühe und ohne Pausen die Stufen bewältigte. Manchmal gar mehrmals am Tage. Also sassen sie an diesem bitterkalten Winterabend bei einer Tasse Tee in der guten Stube und versuchten, ein Gespräch in Gang zu bringen. Ohne es beabsichtigt zu haben, schüttet Graziella an diesem Abend etwas ihr Herz aus. Zwar blieb sie oberflächlich und gewährte Gregor keine tiefen Einblicke in ihr Leben. Bei diesem Gespräch erfuhr Gregor daher von einem Sohn, der allerdings nicht mehr am Leben zu sein schien. Graziella redete von ihm nur in der Vergangenheitsform. Und Gregor war höflich genug, keine indiskreten Fragen zu stellen. Vielleicht interessierte es ihn auch gar nicht heftig. Aber als Graziella von den Problemen mit dem letzten Mieter des kleineren Ladens berichtete, richtete sich Gregor auf dem alten, aber durchaus behaglichen, Sofa auf und wurde spürbar aktiver. Er könne da durchaus vielleicht etwas helfen, meinte er. In seinen direkten Aufgabenbereich gehöre es zwar nicht, räumte er ein, aber mit den Beziehungen könne er unter Umständen seiner Vermieterin hier einen Gefallen tun. Bei einem neuen Mieter könne man zum Beispiel schon mal einen Blick in ein Betreibungsregister wagen. Das wäre zwar eine Überschreitung seiner Kompetenzen und nicht ganz ungefährlich für ihn, meinte Gregor. Aber für seine nette Vermieterin würde er das gerne tun. Das gäbe zumindest Anhaltspunkte über Zahlungsmoral. Und unrühmliche Spuren einer ebensolchen Vergangenheit würde man da auch finden. Er wolle sich da gar nicht aufdrängen, aber für Graziella könnte er das schon machen, meinte Gregor.

Im Jahr nach diesem Gespräch hatte Gregor dreimal in irgendwelchen Unterlagen geblättert und Graziella dann mit Kopfschütteln oder einem fröhlichen Gesicht signalisiert, ob ein Interessent mehr oder weniger als Mieter in Frage käme. Auf jeden Fall hatte Graziella dank diesen Hinweisen keine Umstände mehr gehabt und sich bei Gregor ein paar Mal mit selbstgebackenen Kuchen bedankt. Aber was tut ein allein stehender Herr ohne viele Freunde und sehr wenig Besuch mit frischen Kuchen? Gut, einmal konnte er ein herrlich schmeckendes und sehr süsses Gebäck im Büro verteilen. Dabei erntete er viel Lob für die unbekannte Köchin. Aber die anderen Kuchen vertilgten die beiden in der Wohnung von Graziella, einmal sogar bei traumhaftem Wetter auf ihrem Balkon. Erstaunt stellte Gregor fest, dass nur eine Etage höher die Aussicht sofort wesentlich besser war. Er konnte Kirchtürme erkennen, die bei ihm völlig verborgen lagen. Sogar den nahen Hausberg der Stadt konnte man in der Ferne ausmachen. An diesem Nachmittag gewährte Graziella ihrem Mieter wiederum einen kleinen Einblick in ihre Privatsphäre. Gregor erfuhr, dass ihr Mann schon vor Jahrzehnten verstorben war. Er sei lange irgendwie krank gewesen, in einem speziellen Hospiz gepflegt worden und dann irgendwann gestorben. Erstaunt hörte Gregor wieder von einem Sohn, der aber schon in jungen Jahren ausgewandert oder verstorben war. Leider blieb Graziella beim Thema „Familie“ etwas oberflächlich, Gregor hätte gerne mehr erfahren. Das hing ganz offensichtlich damit zusammen, dass er noch als Kleinkind in ein Heim kam und nie ein Familienleben kennen gelernt hatte. Zudem hatte er sich insgeheim schon Gedanken gemacht, was wohl passieren würde, wenn Graziella eines Tages einfach so wegsterben würde. Also, eine Familie war nicht da, die eine Erbschaft antreten und sofort eine Goldgrube riechen würde; mit saftigen Mietzinserhöhungen und dergleichen. Eine Familie könnte aber sicher auch etwas Schutz vor zu raschen und unangenehmen Veränderungen bieten und vielleicht im Sinne der lieben Verstorbenen alles beim Alten lassen. Gregor wusste daher im ersten Moment nicht, ob die Neuigkeit ein gutes Omen war oder das eher eine Gefahr darstellte.

Gregor sinnierte noch oft an diesen Offenbarungen herum. Er bemühte sich darauf hin immer und ständig aufs Neue, mit Graziella gut zu stehen. So kam es, dass er ihren Tagesrhythmus sehr genau studierte und manches Zusammentreffen im Flur oder vor dem Haus weniger dem oft zitierten Zufall als vielmehr einer genauen Berechnung zu verdanken war. Dabei gab er sich stets hilfsbereit und galant und war sich der zunehmenden Abhängigkeit seiner Vermieterin durchaus bewusst. So war es sicher bereits etliche Wochen her, seit sie letztmals ihren Abfall auf die Strasse gestellt hatte. Das besorgte nun Gregor schon eine ganze Weile. Was Gregor wiederum mit tiefer Genugtuung festgestellt hatte. Zudem machte er zunehmend Besorgungen für Graziella auf dem Heimweg. Nein, nicht nur aus eiskalter Berechnung. Irgendwie gab es Gregor ein Gefühl, für jemanden eine gewisse Verantwortung zu tragen. Er hatte sich in Gedanken auch schon ertappt, dass ihm diese Situation nicht nur unangenehm war. Und das beruhigte sein Gewissen ungemein. Wobei zu erwähnen wäre, dass Gregor durch diese Dienste keinen finanziellen Vorteil erhaschen konnte. Graziella rechnete die Einkäufe immer haargenau und pünktlich ab. Was Gregor mit der Zeit doch irgendwie als knauserig und kleinlich empfand. Das waren dann die Momente, in denen er sich allerlei Ideen für die Zukunft ausmalte. In seiner wildesten Phantasie sah er sich schon als Besitzer dieses Hauses und dann würde er natürlich auch die oberste, beste Wohnung für sich nehmen. Graziella würde er dann einmal im Monat im Altenheim besuchen, oder sie wäre in seinen Träumen dann wohl schon gestorben. Trotzdem gab sich Gregor gegenüber Graziella weiterhin als tadelloser Mieter und galanter Mitbewohner.

Eines Tages, Gregor hatte wieder ein paar Einkäufe getätigt, lud Graziella ihn für den kommenden Freitag auf einen Kaffee nach dem Nachtessen ein. Sie hätte ihm etwas Wichtiges zu sagen.

Bei diesem Gespräch knüpfte Graziella an die Tatsache, dass sie allein stehend war und keine lebende Verwandtschaft habe. Hier kam Gregor dann auf deren Sohn zu sprechen und meinte, dass dieser doch – wenn er sich richtig an ein früheres Gespräch erinnere – ausgewandert sei? Graziella druckste etwas herum bevor sie ihn dann etwas detaillierter in ein Familiengeheimnis einweihte. Nicht aber, ohne ihn vorher ausdrücklich und mehrfach gebeten zu haben, niemals jemandem auch nur ein Wort davon zu sagen, was Gregor – nun aufs Äusserste gespannt – noch so gerne versprach. Schliesslich erfuhr Gregor an diesem Abend wesentlich mehr, als er jemals vorher gedacht hatte. Graziella hatte einen Mann, eine so genannt „gute Partie“ geheiratet. Allerdings hatte dieser ausser dem Haus, in dem sie hier wohnten, kein weiteres Vermögen. Aber das Haus an bester Lage warf nebst dem Lohn, den ihr Mann nach Hause brachte, mit den Mieten ein zusätzliches und regelmässiges Einkommen ab. Diese Liegenschaft hatte ihr Mann von einer schrulligen, alten Tante schon zu deren Lebzeiten geerbt. Die Dame sei bereits in mittlerem Alter im Irrenhaus gelandet und dort auch verstorben. Weil deren Wohnung in diesem Haus frei geworden war, zügelte Graziella mit ihrem Mann dann hierhin. Da wurde auch der Sohn Georg geboren. Hier sprach Graziella mit sehr leiser Stimme. Und immer wieder stockte sie und legte Pausen ein. Sie war wohl mit ihren Gedanken wieder in der früheren Zeit. Eigentlich erlebte die junge Familie ganz normale Jahre. Einerseits weil keine Kinder mehr nachfolgten und weil andererseits die Familie vermögend war, wurde Georg ziemlich verwöhnt. Nach der Pubertät war eine schwierige, belastende Zeit. Streit war an der Tagesordnung. Ihr Mann musste geschäftlich und als lokaler Politiker öfters abendliche Verpflichtungen akzeptieren. Anfangs vielleicht eine Belastung, war dieses Ventil mit der Zeit aber sehr willkommen, dem häuslichen Ungleichgewicht zu entfliehen. Und dann sei es eines Tages geschehen: Ihr Sohn sei von zu Hause verschwunden. Nach einem besonders heftigen Krach musste ihr Mann eilends zu einer Sitzung aufbrechen. Sie habe ihn noch ein gutes Stück begleitet um wenigstens mit ihm ins Reine zu kommen. Als sie nach einer knappen Stunde wieder nach Hause gekommen sei, habe sie ihren Sohn nicht mehr vorgefunden. Und dann nie wieder etwas von ihm gehört. Ihr Mann habe das nicht verkraften können und sei – wie zuvor schon seine Tante – in einem speziellen Sanatorium behandelt worden und schliesslich an gebrochenem Herzen gestorben.

Lange Zeit sassen sich Gregor und Graziella schweigend gegenüber. Dann beschwor sie ihn noch einmal eindringlich, diese „Beichte“ für immer und ewig für sich zu behalten, was Gregor nun bei vollem Bewusstsein ehrlich versprach. Irgendwie bewunderte er die alte Dame, die trotz dieses Schicksals ihr Leben noch etliche Jahrzehnte einfach weitergelebt hatte. Er war noch ganz in Gedanken, als sich Graziella abrupt aufrichtet und mit einem verschmitzten Lächeln sagte, eigentlich sie das bisher Gesprochene nicht der Grund des heutigen Treffens, nicht das Wichtige, das sie ihm sagen wollte. Vielmehr gehe es darum, dass sie sich angesichts ihres Alters langsam an den Gedanken gewöhnen wolle, das Haus zu verkaufen und in ein Altersheim zu zügeln. Nun, eigentlich sei das Haus bereits bei einem Makler gemeldet und es könne daher sein, dass in den nächsten Tagen und Wochen fremde Personen sich das Haus ansehen wollten. Selbstverständlich werde sie die Wohnung von Gregor ohne sein Wissen nicht einfach öffnen und darum versuchen, Termine des Abends zu vereinbaren. Das Haus würde dann auch nicht sehr plötzlich veräussert werden; Graziella rechne mit einer Frist von etwa einem halben bis zu einem ganzen Jahr. Sie möchte sich auch in Ruhe einen Platz in einem passenden Altenheim suchen. Zudem sei die Lage hier ausgezeichnet und gesucht und das Haus in gutem Zustand. Sie könne dieses Gebäude sicher jederzeit und zu einem guten Preis verkaufen. Allerdings könne sie nicht garantieren, dass der Erwerber die laufenden Mietverträge übernehmen würde. Mindestens sei es sogar wahrscheinlich, dass die moderaten Mietpreise dann angehoben würden. Gregor schluckte ob dieser Neuigkeit mehrmals krampfhaft. Eigentlich ein ganz normaler Ablauf, dachte er. Nichts Aussergewöhnliches in so einer Situation. Graziella betrachtete ihn aufmerksam. Tja, meinte Gregor schliesslich, da könne er wohl kaum Einwände dagegen erheben. Schade, dass die gute Beziehung nun vor einem baldigen Ende stehen würde. Schliesslich habe er sich auch immer sehr um Graziella bemüht. Nicht dass das für ihn eine Belastung gewesen wäre. Meistens seien die Besorgungen schon auf dem Arbeitsweg gewesen. Wenn er sich andererseits aber richtig erinnere, habe er doch in letzter Zeit viel für Graziella getan. Das würde ihm dann doch irgendwie fehlen. Und wenn er sich vorstelle, dass dieses Haus mit seinem grossen Charme in fremde Hände käme, völlig andere Leute hier ein und aus gingen, womöglich sogar noch Leute mit ganz anderen Ansichten und Einstellungen, um nicht zu sagen „Ausländer“. Schliesslich wagte sich Gregor vor und erkundigte sich bei Graziella nach einem ungefähren Kaufpreis. Wahrscheinlich würde sein Vermögen und die nötigen Hypotheken seinen finanziellen Rahmen sprengen, meinte er noch zwanghaft lächelnd. Tja und das tat es dann auch. Sehr locker nannte ihm Graziella den geschätzten Wert des Hauses und Gregor schrumpfte in seinem Sessel etwas zusammen. Innerlich schalt er sich einen regelrechten Tor und Tölpel, die Frage überhaupt gestellt oder auch nur gedacht zu haben.

Später in seiner Wohnung kam Gregor nicht zur Ruhe. Haus verkaufen, Wohnung futsch oder dann viel zu teuer. Klar, er lebte bescheiden und konnte regelmässig Geld beiseite legen. Aber für eine gleiche Wohnqualität dann einfach mehr hinblättern, das wollte ihm nicht in den Kopf. Eine anonyme Hausverwaltung. Keine Nachsicht mehr mit seiner nächtlichen Musik. Die Kuchen könnte er wohl noch am ehesten verschmerzen. Doch was sollte er machen? Was konnte er tun? Irgendwie hatte er das Gefühl, das elende Empfinden, in letzter Zeit vieles falsch gemacht zu haben. Vielleicht hätte er sich Graziella noch mehr aufdrängen und sie noch etwas abhängiger von ihm machen sollen. Wie sollte er sich ihr gegenüber nun benehmen? Weiterhin den galanten Mieter mimen? Oder ihr einfach nun die kalte Schulter zeigen? Er kam zu keinem Schluss und schlief schliesslich ein. In seinen Träumen musste er andauernd neue Wohnungen suchen oder sogar zelten.

Am Tag darauf, bekanntlich ein Samstag, beschäftigte er sich in seiner Wohnung und vermied es tunlichst, Graziella irgendwo auch nur von Ferne zu sehen oder gar mit ihr zusammen zu treffen. Schliesslich musste er sich doch um seine Einkäufe kümmern und verliess in einem scheinbar günstigen Moment das Haus. Alles lief glatt und Gregor kaum auch ungesehen wieder in seine Wohnung. An diesem Abend beschloss Gregor, einfach so zu tun, als habe ihm die Neuigkeit von gestern überhaupt nicht berührt. Als sich sein Weg am Sonntag mit demjenigen von Graziella kreuzte blieb er stehen und plauderte wie früher ein paar Worte mit ihr und bedankte sich noch einmal für den wunderbaren Freitag Abend. Am Montag früh nahm er den Kehrichteimer von Graziella mit und stellte ihn wie üblich auf die Strasse. Den Zettel in seinem Türrahmen stopfte er ungesehen in die Tasche, das waren die üblichen Einkaufswünsche seiner Vermieterin. Abends war er schon fast zu Hause, als ihm dieser Zettel wieder in die Hand kam. Also drehte er um und lief die paar Querstrassen zurück zu Einkaufszentrum. Er kaufte die paar Dinge, die Graziella aufgeschrieben hatte und brachte sie ihr dann vorbei. Allerdings war er vorher noch auf ein Bier eingekehrt, um sich den langsam auftauchenden Ärger hinunter zu spülen. Daher fiel ihm zu Hause das belanglose und zwanghaft freundliche Gespräch mit der alten Dame wesentlich einfacher. Die restliche Woche glich für einen Aussenstehenden den vorangegangenen wie ein Hühnerei dem andern. Gregor nahm sich zusammen und blieb freundlich, höflich und galant wie bisher. Wenigstens äusserlich. Am Sonntag darauf lud Graziella ihn zu einer Tasse Tee und Kuchen zu sich in die Wohnung. Gregor nahm auch diese Einladung an, ohne unerwartete äussere Emotionen zu zeigen. Allerdings nahm er sich vor, Graziella auf den bevorstehenden Hausverkauf anzusprechen und mit ihr … ja, eigentlich wusste er nicht, was er ihr genau sagen wollte und wie er sich zu benehmen gedachte. Mit der Türe ins Haus fallen? Oder das Spiel mitspielen? Die drei Stunden bis zum Zeitpunkt waren für ihn nervtötend lang. Als er schliesslich bei ihr an der Türe läutete, wusste er noch viel weniger als vorher, was er eigentlich sagen wollte, wie er sich zu verhalten gedachte. Doch alle seine Gedanken waren überflüssig gewesen, wie sich im Laufe dieses Nachmittages herausstellte.

Nach den üblichen belanglosen Plaudereien meinte Graziella so nebenbei, dass der Verkauf des Hauses wohl schon in den nächsten Wochen erfolgen werde. Sie habe einen Interessenten, der ihr genehm sei, den verlangten Kaufpreis zahlen wolle und ihre Bedingungen zu akzeptieren bereit wäre. Benommen hörte Gregor den wortreichen Erklärungen zu. Ausnehmend weitschweifend erläuterte Graziella in allen Einzelheiten und mit vielen Kunstpausen die Verhandlungen und Gespräche, die sie seit etwa einem Monat geführt hatte. Dann hat sie letzten Freitag mehr gewusst, als sie sagte, schoss es Gregor durch den Kopf. Doch er war nicht imstande, zusammenhängend zu denken. Zu hoch war die Kadenz an Neuigkeiten. Und die alte Kuh lässt mich zappeln, dachte Gregor. Und sie geniesst mich, wie wenn man einem Fisch langsam aber sicher sein Wasser ablässt. Immer mehr schleift er den Bauch am Beckenboden, er muss sich quer legen, um Wasser um die Kiemen zu haben und doch merkt er nach und nach, dass zunehmend Luft um seinen Körper und seinen Kopf ist. Er windet sich und jappst, schnappt wie ein toller Köter, bis er schliesslich elendiglich krepiert. Gregors Kopf schmerzte und er starrte Graziella nur noch an. „Da hat es Ihnen die Sprache verschlagen, nicht wahr?“ hörte er Graziella sagen. Gregor versuchte krampfhaft, sich die letzten Worte in Erinnerung zu rufen, aber es gelang ihm nicht. Er bat Graziella, das nochmals zu wiederholen. Sie schmunzelte und sagte in langsamen deutlichen Worten, dass der Käufer bereit sei, ihn, Gregor, zu gleichen Konditionen in seiner Wohnung für mindestens zwei Jahre wohnen zu lassen. Gregor glaubte, seinen Ohren nicht recht trauen zu können. Also trotz Besitzerwechsel müsste er für zwei Jahre nicht aus dem Haus? Graziella nickte und strahlte übers ganze Gesicht. Genau das sei eine ihrer Bedingungen gewesen. Die andere sei die, dass in ihre Wohnung, in der sie jetzt sassen, nie jemand einziehen solle. Auch das sei akzeptiert worden. Wahrscheinlich werde der Kaufvertrag in der kommenden Woche unterzeichnet. Endlich konnte Gregor wieder klar denken und er erkundigte sich, warum denn Graziellas Wohnung leer stehen müsste. Darauf gab ihm die Gastgeberin keine rechte Antwort und meinte nur, das könne sie nicht verantworten, es sei zu gefährlich. Sie verabschiedeten sich und Gregor stieg beschwingt die Treppe zu seiner Wohnung hinunter. Als er zurück blickte, stand Graziella noch oben und irgend aus einer Laune schickte er ihr einen Handkuss hoch.

Das Leben lief wie bisher weiter und einige Wochen später informierte Graziella ihn, dass sie auf den übernächsten Ersten hier ausziehen und in eine Seniorenresidenz übersiedeln werde. Dort habe sie eine Zweizimmerwohnung gemietet, in der sie sehr selbständig wohnen können. Mit zunehmendem Alter sei es möglich, dort auch die medizinischen Dienste und weitere Annehmlichkeiten in Anspruch zu nehmen. Sie sei froh, diesen guten Platz gefunden zu haben. Dort sei sie auch näher bei ihren geliebten Bergen und der Kreis werde sich so schliessen. Sie sei ja schliesslich auch nahe eben dieser Gegend aufgewachsen und habe eine glückliche Kindheit dort verbracht. Ob Gregor sie hin und wieder besuchen komme? Selbstverständlich, bei allem was sie für ihn getan hatte, konnte er ihr diesen Wunsch nicht abschlagen. Im Gegenteil, er freute sich sogar darauf.

Das Leben im Haus war nicht mehr so, wie früher. Graziella fehlte ihm offensichtlich, musste sich Gregor eines Tages eingestehen. Trotzdem er keine Besorgungen mehr machen und er sich nur noch um seinen Kehrichtsack kümmern musste, die alte Dame war ihm irgendwie ans Herz gewachsen. Zwischendurch nahm er sich die Freiheit, seine Blicke auf ihrem Balkon über die Stadt schweifen zu lassen. Die Wohnung war leer und kalt und das störte Gregor. Einmal nahm er einen alten Tisch und einen Stuhl - beides hatte er im Estrich gefunden - und liess sie dort stehen. Das stört niemanden und er konnte dort seinen Gedanken nachhängen.

In den nächsten Monaten erlitt Graziella leider eine Lungenentzündung, die ihr schwer zu schaffen machte. Gregor besuchte sie in dieser Zeit etwas häufiger und so bemerkte er, dass sie sich wohl nicht mehr davon erholen würde. An einem regnerischen Sonntag schliesslich lag sie nur noch matt in ihrem Bett und öffnete kaum mehr die Augen, als er eintrat. Sie winkte ihn mit müden Händen zu sich und zog ihn dann zu sich aufs Bett hinunter. „Hör zu“, sagte sie flüsternd zu ihm, obschon sie sich niemals gedutzt hatten „lass die Finger von der obersten Wohnung, hörst Du, schliesse und versiegle sie. Wirf den Schlüssel weg, nagle die Türe zu. Niemals darf nie jemand mehr dort wohnen. Das ist viel zu gefährlich“ Dann sank sie matt ins Kissen zurück. Zwei Tage später erhielt Gregor den Anruf aus der Klinik, dass Graziella friedlich eingeschlafen war. Bei der Beerdigung überreichte man ihm einen kleinen Umschlag, auf welchem mit krakliger Schrift sein Name geschrieben stand. Er öffnete ihn auf dem Heimweg und las die sechs Worte: „Schliess die Wohnung zu, für immer“.

Für ein paar Tage mied Gregor die oberste Wohnung. Es war auch nicht das beste Wetter, um auf dem Balkon zu stehen und die Aussicht zu geniessen. Mit etwas gemischten Gefühlen stand er dann eines Abends doch wieder oben. Zögernd schloss er auf – er hatte den Schlüssel schon vor Jahren für „Notfälle“ erhalten und nie zurückgegeben – und trat in den dunklen Flur. Muffige Luft schlug ihm entgegen. Er machte Licht und schloss leise die Eingangstüre, wie um allenfalls schlafende Personen nicht zu wecken. Aber natürlich war Gregor allein in dieser Wohnung. Er machte in jedem Zimmer Licht um sich Mut zu machen. Diese Wohnung sollte gefährlich sein? Er hatte vorher nie etwas Besonderes bemerkt und achtete sich nun speziell auf morsche Dielen, hervorstehende Nägel oder tiefer hängende Balken. Nichts. Waren die Stromleitungen das Gefährliche? Doch die Wohnung war tadellos unterhalten. Noch jetzt, Monate nachdem Graziella ausgezogen war, war sie fast bezugsbereit. Kopfschüttelnd verliess Gregor die Wohnung wieder und verschloss die Türe besonders sorgfältig. Er hatte gar nichts Besonderes bemerkt. War Graziella im Alter eventuell auch wirr im Kopf geworden? Dann erinnerte er sich der ersten Äusserungen, die seine ehemalige Vermieterin sicher noch bei klarem Verstand gemacht hatte. Das ergab keinen Sinn. Mit der Zeit verdrängte Gregor diese Geschichte.

Eines Tages ergab sich bei ihm ein Gespräch mit dem neuen Besitzer. Respektive dem jetzt zuständigen Vertreter der Immobilienverwaltung. Gregor erkundigte sich bei dem Herrn, ob ein Wohnungs-Abtausch möglich wäre. Gregor führte an, mit einem Zimmer mehr könne er seinem Hobby etwas mehr Raum geben. Er schreibe Krimis und das laufe ihm im normalen Büro- / Allzweckraum nicht sehr gut von der Hand. Der Balkon im obersten Stock mit seiner Aussicht würde ihn zudem sicher zu Höchstleistungen inspirieren. Der Herr versprach, dies abzuklären. Wohlweislich erwähnte Gregor die schriftliche Zusage der Verwaltung an Graziella nicht, in welcher die Wohnung leer gelassen werden sollte. Erstaunt vernahm Gregor schon am folgenden Tag, dass einem Wechsel nichts im Wege stünde, der Mietzins sei allerdings doch einiges höher. Das war für Gregor kein Hindernis. Nach einer gründlichen Renovation der freien Wohnung zog Gregor per 1. Mai in die Wohnung eine Etage höher. „Gründliche“ Renovation war allerdings ein wenig übertrieben, fand Gregor. Aber ihm war das einstweilen egal. Er genoss den ganzen Sommer mit der herrlichen Aussicht und wie er gehofft hatte, verhalf ihm sein Hobbyzimmer zu grossen Inspirationen. Doch mit dem plötzlich hereinbrechenden Herbst und den kürzeren, kalten Tagen lief er frontal in eine Schreibblockade. Er brachte keine zehn zusammenhängenden Worte pro Tag zu Papier. Stundenlang lief er in der Wohnung hin und her. Von einem Zimmer zum nächsten. Er stellte seinen Stuhl in jede Ecke aller Räume. Im Badezimmer kam er sich etwas dämlich vor. Aber wenn das helfen sollte, war ihm alles egal. Er begann, alle Räume der Wohnung zu zeichnen. Dann vermass er alle Zimmer und stellte erstaunt fest, dass keine Wand parallel zur gegenüberstehenden verlief. Auch die Höhe war sehr verschieden. Nicht nur von Raum zu Raum, sondern auch innerhalb der einzelnen Gemächer. Hingegen half das nicht, seine Gedanken wieder auf Krimis zu lenken. Dann begann Gregor, seine Skizzen massstäblich auf Millimeter-Papier zu zeichnen. Das ergab einen wirren Grundriss, der irgendwie nicht aufging. Gregor vermass nochmals akribisch die einzelnen Räume, berechnete Winkel, vermass Wandschränke und übertrug alles haargenau auf das Papier. Das bestätigte seine ursprüngliche Zeichnung. Irgendwo war da noch ein Raum. Klein, kaum einen Quadratmeter gross, aber er war da. Oder fehlte eben, weil er nicht zugänglich war. In der Nacht fand Gregor die Erklärung: Das musste der Kaminschacht sein. Er lachte, ob seiner Einfalt. Hatte ihn das Schreiben von Krimis bereits derart verdorben? Friedlich schlief Gregor ein und hatte eine traumlose Nacht.

In den folgenden Tagen kehrte bei Gregor die Schreiblust nach und nach zurück. Keine grossen Würfe oder der Reisser, aber immerhin konnte er seinem Hobby wieder etwas abgewinnen. Der Winter war sehr, sehr kalt und die Heizung vermochte kaum, die Wohnung auf die erwünschte Temperatur zu erwärmen. Das war Gregor sich von der früheren Wohnung her nicht gewohnt. Eingebettet in Nebenwohnungen und solche höher und tiefer war es dort immer wohlig und gemütlich gewesen. Nicht so in der obersten Etage. Wohl gab’s noch einen Estrich, aber der war ungeheizt und isolierte überhaupt nicht. Daher schaffte sich Gregor eines Tages einen strombetriebenen Heizkörper an. Damit gelang es ihm mühelos, die Temperatur auf angenehme 22 Grad anzuheben. Niemals hat es Gregor bereut, die Wohnungen getauscht zu haben. An Weihnachten besuchte er das Grab von Graziella, zündete eine Kerze an und gedachte mit offener Wehmut der früheren Nachbarin. In dieser Nacht vergass Gregor, den Ofen abzudrehen, als er zu Bett ging. Am folgenden Morgen sah er die Bescherung: Sein Arbeitszimmer war die reinste Sauna. Rasch öffnete Gregor das Fenster, zog den Strom vom Heizkörper aus und wartete, bis die Temperatur wieder erträglich geworden war. Über den glühenden Ofen legte er nasse Tücher, um ihn zu kühlen. Hatten solche Geräte nicht üblicherweise einen Thermostaten? Dann besah sich Gregor seinen Arbeitsraum. Die Tapeten waren gerissen und man musste wohl gelegentlich etwas verschönern. Als Gregor mit der Hand über einen dieser Risse fuhr, spürten seine Finger einen Absatz. War hier die Wand zersprungen? Nun ja, Holz arbeitet eben. Setzt man es grosser Hitze aus, trocknet es und zieht sich zusammen. Mit den Fingernägeln grub sich Gregor durch die relativ dicke Tapete und verbreiterte den Spalt von oben bis zum Boden. Erstaunlicherweise hörte der Spalt in etwa eineinhalb Meter Höhe auf. Gregors Finger tasteten am Ende herum und mit grosser Verwunderung bemerkte Gregor, dass der Riss an der oberen Kante waagrecht unter der Tapete weiterführte. Mit den Fingernägeln zerschnitt Gregor die Tapete, bis seine Finger bluteten, weil drei Fingernägel gebrochen waren. Ein Fieber hatte ihn gepackt. Was war das? Gregor holte in der Küche ein scharfes Messer und bearbeitete die Wand weiter. Schliesslich riss er die Wandbedeckung grossflächig herunter. Er staunte nicht schlecht, als er die Umrisse einer Tür zu sehen glaubte. Seine Skizze von der Schreibblockade her kam ihm in den Sinn. Einen Zugang zu einem Kamin? Hatte er hier nur einen versteckten Zugang zum Kamin wieder ans Tageslicht geholt? Das konnte ja durchaus sein. Erschöpft sank Gregor auf seinen Stuhl. Er betrachtete die Wand und die Bescherung, die er angerichtet hatte. Ja, da musste man wohl oder übel das ganze Zimmer neu machen. Anschliessend nahm Gregor in der Küche sein Frühstück ein. Dann kehrte er ins Arbeitszimmer zurück und betrachtete die Türe. Ein Schlüsselloch konnte er nicht ausmachen. Die Scharniere fand er hingegen genau in die Türzarge eingearbeitet vor. Saubere Arbeit. Von aussen überhaupt nicht zu erkennen. Noch wenn man wusste, wo man zu suchen hatte. Wenn diese Wand schon verwüstet war, würde ein Blick in den Schlund des Kamins wohl nicht schaden, dachte sich Gregor. Er holte nun einen Schraubenzieher und versuchte, die Türe aufzustemmen. Erst nach etlichen Versuchen bemerkte er die feinen Stifte. Klar, eine Nottür musste zugenagelt sein. Schliesslich ging es hier wohl ein gutes Dutzend Meter senkrecht in die Tiefe. Mit Beisszange und Schraubenzieher entfernte Gregor – der immer noch im Schlafanzug umherlief – Nagel um Nagel. Es mochten rund drei Stunden vergangen sein als Gregor den letzten Stift herauszog. Es waren sehr dünne Stahlstifte, die allerdings auch mit grösster Gewalt nicht zu biegen, verschweige denn zu brechen waren. Erneut versuchte Gregor, die Türe zu öffnen und diesmal gab sie schwerfällig und mühsam nach. Sehr, sehr vorsichtig zerrte Gregor sie einen Spalt breit auf, etwa so eine Kopfbreite. Abgestandene, muffige, scheussliche Luft strömte ihm entgegen. Zusammen mit dem Rauch versperrte es einem die Sicht. Daran hatte Gregor gar nicht gedacht. Wenn das tatsächlich bereits der Kamin war … Aber nein. Der war sicher gemauert und hier kam man nur in die Nähe des Kamins. Gregor holte eine Taschenlampe. Vielleicht war hier ein Schatz versteckt? Das Haus war schon etwa fünfhundert Jahre alt. Da wusste man nie. Mit neuem Elan öffnete Gregor die Türe und spähte dem dünnen Lichtstrahl hinterher. Verblüfft gewahrte er eine Treppe. Die kam aus der Tiefe und führte auch nach oben. Die Wendeltreppe lief einfach an dieser Türe vorbei. Gregor trat näher und richtete den Strahl nach unten. Er konnte kein Ende erkennen. Dann guckte er nach oben und dort war es ebenfalls stockfinster. Gregor zögerte etwas, aber sein Jagdinstinkt war geweckt. Hastig zog er sich den Morgenmantel über, schlüpfte in die Hausschuhe und schickte sich an, in das entdeckte Treppenhaus zu steigen. Vorsichtshalber klemmte er seinen Stuhl zwischen Türe und Wand so fest ein, dass der Spalt offen stehen blieb. Wohin zuerst? Gregor prüfte die einzelnen Tritte und spürte, dass sie stand hielten. Zögerlich hob er den Fuss auf den nächsten Tritt. Er begann zu zählen. Und wieder ein Stufe. Er wusste, dass nur noch der Estrich folgte und der Weg daher nicht weit führen konnte. Fünf, sechs, sieben Gregor blieb stehen und leuchtete hinauf. Es schien endlos weiter zu gehen. Er schaute zurück und sah noch seinen Schreibtisch im Zimmer. Dann ging er weiter.

Bei zwanzig Tritten staunte Gregor, bei dreissig schauderte ihn und bei fünfzig stand er irritiert still. Er leuchtete hinauf und sah immer noch kein Ende. 50 Tritte hatte er hinter sich. Fünf waren etwa einen Meter. Eine Etage hatte etwa drei Meter. Er wohnte in der obersten Wohnung, darüber kam nur noch der Estrich. Dann musste er also weiter gestiegen sein, als das Haus hoch war. Schnell machte Gregor kehrt. Natürlich zählte er die Treppenstufen ganz genau und hoffte bei vierzig, sein Zimmer leuchten zu sehen. Bei fünfzig war es immer noch stockfinster, als er die Taschenlampe ausmachte. Mit der Hand strich er der Wand entlang. Nichts. Kein Spalt, gar nichts. Sein Atem ging nun stossweise. Wo war er? Was war geschehen? Er stolperte weitere rund zwanzig Stufen hinunter. Vielleicht hatte er sich verzählt. Nichts. Er blieb stehen und spitzte die Ohren. Kein Geräusch war zu hören, nur das Blut hämmerte in seinem Kopf. Erschöpft sank er auf die Stufe und versuchte zu überlegen. Doch er brachte keine klaren Gedanken zusammen. Er lief wieder hinauf, diesmal sicher mehr als hundert Stufen. Ausser Stille und Finsternis sah er nichts. Er stolperte wieder die Treppe hinunter, sicher an die zwanzig Minuten lief er spiralförmig im Kreis immer tiefer und tiefer. Erstaunt stellte Gregor fest, dass die Temperatur immer gleich blieb. Hier müsste er doch im Keller oder sogar schon weiter sein. Aber es nahm kein

 

Ende.