Alfie und die Frühlingszeit

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Alfie war wieder in seinem Element. In seinen Kreisen genoss er – und das nicht zu Unrecht – den Ruf eines Mathematik-Genies. Keine Aufgabe schien ihm unlösbar. Dementsprechend war natürlich auch der Preis für seine Dienstleistungen entsprechend. Und das immer in bar, darauf legte Alfie grossen Wert.

In der Schule war noch nicht sonderlich viel von seiner Begabung zu spüren gewesen. Das lag sicher auch daran, dass er öfters die Schule wechseln musste. Seine Mutter arbeitete in Bars und Kneipen, die oftmals schlossen; oder besser gesagt: behördlich geschlossen wurden. Andererseits gab sich Alfie auch nie sonderlich Mühe, im Unterricht Schritt zu halten, sofern er tatsächlich die Schulbank drückte. Mit Gelegenheits-Jobs verdiente er sich schon in der Oberstufe ein ansehnliches Taschengeld. 

Aber jetzt war er nicht auf einer bezahlten Tour, sondern ganz in eigener Sache, quasi als Selbständiger unterwegs. Das Ding hatte ihn ganz schön viel Zeit gekostet. Allein für die nötigen Beobachtungen gingen einige Wochen drauf. Aber es dürfte – nein es musste – sich lohnen, davon war Alfie überzeugt. Und dann die tage- und nächtelangen Berechnungen, eben seine Stärke: Zeitpläne mussten durchgespielt und alle Aktivitäten sorgfältig eingeübt werden. Wie oft hatte er in seinem Wohnzimmer die Möbel beiseite gestellt, mit leeren Kartonschachteln oder andern Hindernissen den Raum dargestellt und alle Bewegungen eingeübt. Schliesslich kann man einen Marathonlauf auch nicht als simpler Spaziergänger angehen. Und das Drehbuch hatte ihn noch mehr Mühe gekostet. Mit Zahlen konnte Alfie umgehen, wie kaum ein zweiter. Aber mit Buchstaben hatte er so seine liebe Mühe. 

Doch nun war er mitten in seiner Arbeit, alles lief soweit nach Plan. Wenn er ehrlich war, hatte er sogar etwas Vorsprung auf die Zeittabelle. Die ersten beiden Hürden waren kleiner gewesen als angenommen. Dabei hatte er auch vom Glück profitiert, dass der Wächter heute wahrscheinlich nicht nur den Länderfinal sehen wollte, sondern auch noch die übliche Vorschau: Welche Mannschaft hatte welchen Gegner auf dem Weg ins Endspiel eliminiert. Dass er seinen Job ausgerechnet an diesem Abend durchführte, war hingegen kein Zufall, sondern genau berechnet. Und mit dem kleinen Empfänger am Arm konnte er sich laufend über den Ablauf des Spiels informieren. Nur, wenn ihm im Falle einmal jemand Fragen zur heutigen Nacht stellen sollte. Er hatte ferngesehen und ein paar Bierchen getrunken. Nein nicht zu Hause, ein solches Spiel schaut man sich unter Kumpels an. Nicht bestimmte Kerle, einfach irgend jemand, dem man zufällig in einer Bar über den Weg läuft. 

Mit geübten Handgriffen klebte Alfie die Drähte am richtigen Ort zusammen und überwachte die Spannungen. Nun noch rasch den Widerstand vor Ort überprüft; seine Berechnungen stimmten nicht schlecht. Mit der nötigen Sorgfalt entfernte er noch etwas Draht von der Spule, bis die Werte gleich waren, dann hängte er seinen Dummie ans Netz. Abspulen ging immer besser, als etwa mit Handschuhen den Widerstand noch um ein paar Umdrehungen zu erhöhen.

Rein zufällig war er auf diesen Job gestossen. Knuchel, sein Kollege aus früherer Zeit, hatte ihm eher unwissentlich ein paar Details von seiner Tour als Kehrichtfahrer preisgegeben. Dieses Wissen hatte Alfie dann mit ein paar gezielten Suchen im Internet – natürlich nicht bei sich zu Hause – ergänzt und sich von Knuchel wiederum bestätigen lassen. Von diesem „Interview“ hatte Knuchel sicher nichts bemerkt, da war Alfie viel zu schlau.

Und nun stand er hier, nur ein paar Meter vom grossen Safe entfernt, der sich heute Nacht für alle unbemerkt für eine Stunde öffnen würde. Das heisst, dachte Alfie, unbemerkt für alle … bis auf einen. Getrost konnte er sich nun eine Pause erlauben und dabei dem Spiel ein paar Minuten zuhören. Es lief auch hier besser als erwartet: Beide Mannschaften waren mit einigen Ersatzspielern angetreten, man eroberte den Ball jeweils um die Mittellinie und keiner konnte sich auch nur in die Nähe des gegnerischen Strafraumes durchkämpfen.

Nach Zeitplan musste er nun die zwischengeschaltete Uhr pünktlich und schrittweise auf den doppelten Takt bringen. Dann würde gegen Mitternacht für den Safe schon fünf Uhr sein und irgendwann wird der Code freigeben, damit um sechs Uhr die Pforten geöffnet werden können. Dass nur der Safe seine Arbeit aufnimmt, nicht aber die Belegschaft, wird wohl kaum jemanden stören. Die andern haben dann nämlich noch tiefe Nacht. Das Spiel verlief immer noch zu seinen Gunsten: Nur noch wenige Minuten waren zu spielen und es stand unentschieden. Das würde eine Verlängerung geben und die Leute noch eine Weile vor dem Bildschirm festhalten.

Sorgfältig hatte Alfie auch berechnet, wann er den Rhythmus und wie stark er ihn abbremsen musste, damit die Echtzeit wieder überholen konnte und um welche Zeit er dann wieder parallel fuhr, parallel zu jeder pünktlichen Uhr. Dann den Schalter ausbauen, von hier verschwinden um rechtzeitig den Ausgang des Fussballspiels in den Strassen feiern; egal, wer dieses Spiel gewonnen haben möge. Sogar ein Bier hatte er im Rucksack, damit er auch feierlich wirken konnte.

Doch vorerst gibt’s noch einiges zu tun. In wenigen Augenblicken ist’s künstlich sechs Uhr, dann kommt er zum Zug. Das Spiel steht übrigens auch nach der Verlängerung unentschieden, so dass ein Penalty-Schiessen entscheiden muss. Das behagt Alfie noch mehr; dann würde er wirklich mit vielen Leuten zusammen auf der Strasse umhergrölen. Einzig beim Verlassen seiner Wirkungsstätte müsste er mehr aufpassen, als geplant. Aber das würde sicher klappen, bei all dem Glück, das ihm heute schon hold war.

Nun ist Alfie vorsichtig beim „umpacken“. Sie haben gedacht, er packe alles, was er kriegen könnte in seinen Rucksack und haue damit ab? Weit gefehlt, meine Damen und Herren. Alfie ist clever. Er hat vor langer Zeit bereits ein Safe gemietet. Unter falschem Namen versteht sich. Und in diesen Safe lässt er nun all die Bündel verschwinden mit den Noten mit den vielen Nullen. Das Endspiel ist nun wirklich entschieden, nach dem wievielten Treffer, weiss Alfie nicht mehr, aber sehr knapp ging’s aus. Die Roten haben den Schwarzen den Titel abjagen können. Das wird ein Fest geben, weil’s eher unerwartet ist. Alfie ist schon fast am Ende mit aufräumen und hört nun Nachrichten. Darin wird nochmals ausführlich über das Finale gesprochen. Alfie hört aufmerksam zu; sein Alibi soll so gut sein, wie noch nie zuvor. Dann beginnt er mit den Abschussarbeiten und verlangsamt den Timer wieder. Das muss er im Safe selber vornehmen, weil die Sperrung sonst blockiert und Alarm auslösen würde. Dann würde die massive Türe sofort … ALARM. Der Blinker setzt ein, die Türe beginnt sich zu schliessen. Was um alles in der Welt, wo habe ich mich verrechnet, nichts wie raus, zu knapp. Teufel das gibt’s nichts. Verdammt und zugenäht. Das darf nicht wahr sein. Alles habe ich mehrmals gecheckt. Kein Rechenfehler, die Taschenuhr geht perfekt und trotzdem: Irgendwo hat er sich verrechnet. Und dann teilt der Radiosprecher noch mit: Vergesst nicht, jetzt die Uhren umzustellen, wir haben nun wieder Sommerzeit …