Frank kriegt ein Geschenk

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Frank mochte sich nicht erinnern, jemals an diesem Wettbewerb teilgenommen zu haben. Aber der junge Mann – von eher schmächtiger Statur – beharrte darauf, dass er, Frank, den Hauptpreis gewonnen habe. Zwei Wogen wallten in Frank aufeinander. Einerseits wusste er einfach, an diesem Wettbewerb nicht mitgemacht zu haben. Und wenn er etwas wusste, dann war ihm die Meinung der ganzen restlichen Welt egal. Nur auf ihn kam es an. Immer nur auf ihn. Zum andern war da seine Eigenheit, immer alles zu nehmen, was man ihm anbot. „Du bist der einzige, der zu Dir schaut“ pflegte er zu sagen. Und zu sich schaute er immer besonders gut. 

Er blickte vom Zertifikat auf, das er noch immer in Händen hielt, und starrte den jungen Mann eindrücklich an. Dieser wich nochmals eine Treppenstufe zurück, so dass er nun fast ebenerdig stand. Frank hingegen blickte von der fünfstufigen Veranda hinunter. Noch bevor Frank den Mund aufmachen konnte, erklärte der junge Mann ihm eilfertig nochmals das Ganze. Es sprudelte richtig aus ihm heraus: „Mein Chef hat mich gestern beauftragt, Ihnen heute diesen Umschlag mit den besten Glückwünschen zu überbringen und dafür zu sorgen, dass heute Abend das Feuerwerk hier zu Ihrer vollen Zufriedenheit abläuft. Leider kenne ich mich in dieser Gegend nicht sonderlich gut aus, Ihr Haus ist ja auch etwas … ähm … weiter entfernt von der Strasse, darum komme ich erst jetzt, aber ich könnte umgehend mit der Arbeit beginnen, so dass das Feuerwerk heute Abend hier an dieser Bucht voll zur Geltung kommt.“

Mit einer Handbewegung brachte Frank den Mann zum Schweigen. „Und was für ein Wettbewerb war das?“ hakte er nochmals nach. „Alle Läden vom gesamten Bezirk haben diesen Wettbewerb ausgeschrieben, in jedem Office lagen massenweise solcher Teilnahmescheine und in der Zeitung waren sicher auch welche. Möglicherweise“, der junge Mann grinste etwas schelmisch und wählte ein paar grosse Worte, “hat man sogar daran teilgenommen, wenn man nur `n Bier in der Kneipe gekippt hat.“ Dieser Klugscheisser, dachte Frank, ein anderer Moment und der würde ohne seinen Pickup nach Hause rennen. Jawohl, die drei Meilen bis ins Dorf im gestreckten Galopp. Dem Bürschchen gäbe er Zunder, dass er künftig einen weiten Bogen um sein Haus machen würde. 

Wie als würde der andere seine Gedanken erahnen, ging dieser rückwärts langsam zu seinem Wagen zurück. Unschlüssig trippelte er von einem Bein aufs andere. Frank genoss diesen Moment. Er genoss es immer, wenn er die Szene beherrschte, wenn alles von seinen Worten oder Taten abhing. „Na los, dann fang schon an“ herrschte er den Jüngling schliesslich an. „Aber: Kein Strom vom Haus, keinen Schritt ins Haus, rein gar nichts. Ich will Dich hier gar nicht bemerken!“ Damit trat er ins Haus zurück. Er grinste in sich hinein. So hatte er sich Sonnabend nicht vorgestellt. Gut, die Veranda musste gestrichen werden, dann fuhr er wohl noch auf ein Bier ins Dorf. Zudem wollte er das Terrarium im Keller noch leicht vergrössern, schliesslich hatten seine Schlangen kürzlich Junge gekriegt. Und wenn es ihm endlich gelingen sollte, die grosse Echse am See zu fangen, musste auch diese ihren Verschlag haben. 

Er setzte sich auf einen Hocker, dicht am Fenster und beobachtete, wie der junge Mann mit dem Entladen des Wagens begann. Ja, das ist doch mal was anderes, dachte Frank. Zu meinem Haus ein Feuerwerk. Die Idee gefiel ihm immer besser. Er stellte sich vor, heute Abend auf der Veranda zu stehen, und den leuchtenden knallenden Schleifen hinterher zu sehen. Natürlich durfte seine Frau dann auch zusehen. Vielleicht konnte er ihr sogar angeben, das alles für Sie arrangiert zu haben. Dann musste sie ihm wirklich nochmals dankbarer sein, als sie es täglich zu tun hatte. Er beschloss, sie heute früher aus dem Keller zu lassen, als in solchen Fällen üblich. Sie hatte ihn schon gestern unheimlich genervt. Darum schloss er sie über Nacht in den Keller ein. Dann hatte er seine Ruhe. Sie war wie besessen davon gewesen, unendlich viele Kisten mit altem Gerümpel endlich zu entsorgen. Die ganze Woche hatte sie sorgsam Kiste um Kiste gepackt und dann zugeklebt. Unwirsch musste er zugeben, dass schon lange nicht mehr soviel Ordnung geherrscht hatte. Tja, in den letzten paar Monaten waren da sicher ein paar Dutzend Flaschen und Büchsen leer geworden. Auch leere Futter-Kartons aus seiner vielfältigen Tierzucht lagen überall herum. Das war aber noch kein Grund, ihn dauernd um den Lieferwagen zu bitten. 

Er öffnete den dunklen Verschlag und ging wieder rauf, ohne ein Wort zu sagen. Oben machte er sich auf der Couch gegenüber der Kellertreppe bequem und wartete. Endlich tauchte seine Frau auf und blinzelte in den hellen Sonnenschein. Immer noch verdammt hübsch, dachte er, und das nur für mich allein. Auch übernächtigt und ungekämmt wirkte sie in seinem uralten Bademantel irgendwie anziehend. Wie üblich entschuldigte sie sich artig für Ihren gestrigen Ungehorsam und es folgten die traditionellen Versprechen, an sich zu arbeiten und die Ansprüche etwas zurück zu nehmen, denn schliesslich sei er ihr Herr und Gebieter. Frank unterbrach sie und erklärte, dass sie sich heute ausschliesslich im Hause aufzuhalten habe. Er wollte nicht, dass sie ohne seine Erlaubnis das Haus verliess. Erstaunt nickte seine Frau, die es nicht gewohnt war, seine Anordnungen in Frage zu stellen. 

Dann begann Frank, Holz für das neue Terrarium zu rüsten. Danach holte er die Farbe aus dem Keller, um wie geplant die Veranda neu zu streichen. Natürlich war die Birne immer noch kaputt und er konnte die richtige Farbe erst im fünften Anlauf finden. Frank fluchte. Ja, vielleicht hatte er hier unten auch mal etwas aufzuräumen. Aber auch den kleinsten Rest kann man irgendwann einmal noch brauchen, auch eine leere Farbdose ist noch zu was gut. Darum stapelte sich im und ums Haus herum so einiges. Kein Vergleich mehr zu seiner Zeit, als er hier draussen anfing, sich ein Haus zu bauen. Gut, es war eigentlich nie richtig fertig geworden. Immer musste noch etwas verbessert, vergrössert oder verschönert werden. Bergab mit dem ganzen ging es aber damals, als er sich entschloss, Wildtiere zu züchten. Schlangen, beispielsweise. Die waren ihm aber mehr als einmal entschwunden, weil er sie zu füttern vergass oder so. Manchmal war er auch tagelang im Busch unterwegs, dann krepierte halt das eine oder andere. Aber in der freien Natur war das genau so. Damals hatte er sich auch eine Frau gesucht, die dann zu Hause zu seinem Zeugs schauen sollte. Keine aus dem hiesigen Landteil, die hätten ihn nicht in die Wildnis begleitet. Darum wurde er auch in einer Annonce fündig. Dass die Frau – scheinbar von Seiten ihres Vaters – leicht asiatische Züge aufwies, machte sie ihm sicher. Wer wollte schon einen Mischling, das hatte er ihr öfters gesagt. Dass sie etwas Geld mitbrachte auf seine „Farm an eigenem See“ – so hatte er damals geschrieben – war mehr als nur sehr angenehm gewesen. Kurz nach der Heirat gab er auch die letzte Anstellung auf, er war seit zwei Monaten Fernfahrer für Giftmüll gewesen. Allerdings, um ganz ehrlich zu sein, eine Heirat wie man es sich landläufig vorstellte, war es nicht gewesen. Sie hatten zusammen an einem Sonntag eine Messe besucht, waren dann etwas über Land gefahren, hatten in einem billigen Motel Nachtessen eingenommen und übernachtet und das war’s dann. 

Gegen Mittag verlangte er zu essen und schlang dann zwei Steaks herunter. Derweil gefiel es ihm, den jungen Mann draussen zu beobachten. Er hatte sich – das musste Frank ihm lassen – einen schönen Punkt ausgesucht, um das Feuerwerk zu gestalten: Auf dem Damm, so rund dreissig Meter vom Haus entfernt, buddelte er Loch um Loch und versenkte irgend welches Material. Dann betrachtete er wieder und wieder die Anordnung, und änderte das eine oder andere. Frank hielt es nicht für nötig, seiner Frau etwas zu erklären. Grinsend stellte er aber fest, dass sie immer, wenn sie glaubte, er sehe es nicht, zum Fenster ’raus guckte. Allein dafür wollte er sie morgen wieder in den Keller sperren. Oder dann gleich zu Beginn des Feuerwerkes, so dass sie nur hören aber nicht sehen konnte, was da draussen abging? Das wollte Frank heute Abend dann entscheiden. 

Als seine Frau ihn fragte, ob sie dem Burschen da draussen ein paar Brote machen solle, war er ursprünglich sprachlos ob dieser Anmassung. Er wollte schon heftig dreinfahren, als er sich eines bessern besann. „Na klar, schmier ihm drei Brote und leg sie auf die Veranda, die kann er dann holen, wenn er will“. Schelmisch grinste er in sich hinein. Wieder ein Punkt für ihn. Er wusste genau, dass dann das Brot nicht fürs sonntägliche Frühstück reichte und er konnte ihr wieder berechtigte Vorwürfe machen und sie dafür bestrafen, dass sie nicht gut zu ihm schaute. Sie war eh in den letzten 10 Tagen irgendwie kecker, aufmüpfiger geworden. Er musste dringend die Schraube wieder anziehen. Ja genau, das war ungefähr seit seinem letzten fünftägigen Ausflug mit ein paar Kumpels. Sie waren in den Norden gefahren und hatten sich rundum amüsiert. Als er zurückkam, war er wie üblich zwei Tage einfach im Bett gelegen, um sich von den Anstrengungen zu erholen. Damals war sie irgendwie anders gewesen, fiel ihm jetzt ein. Aber das war leicht wieder zu korrigieren. In drei Tagen kuschst du wieder wie du sollst, dachte er und gluckste vor sich her. 

Draussen klopfte es, der junge Mann machte sich bemerkbar. Leider sei eine Kiste Lunte zu wenig mitgekommen er müsse nochmals ins Dorf zurück. Ob er noch was bringen sollte? Frank schickte ihn weg. Er würde sich sein Bier schon selber holen, und nicht von so einem Anschmeichler bringen lassen. Ha, wäre doch gelacht. Der Feuerwerker war noch auf der Veranda, als seine Frau ihn fragte, ob der junge Mann, die Kisten mit dem alten Gerümpel gleich mitnehmen könne, dann wäre das doch auch erledigt …“ Kommt überhaupt nicht in Frage“ herrschte Frank sie an. „Mein Abfall geht niemanden etwas an, schon gar nicht einen dahergelaufenen Lümmel aus dem Dorf.“ Immerhin war er innerlich guter Laune und gestattete ihr, den Abfall wenigstens in die Höhle neben dem Damm zu schaffen. Dann schaute er ihr genüsslich zu, wie sie Kiste um Kiste dorthin schleppte. 

Nach einer Weile hatte er sich genug amüsiert und ging daran, die Veranda zum Streichen vorzubereiten. Die Sonne war nun um die Hausecke gebogen und die Veranda am Schatten. Von dort konnte er seine Frau auch gut beobachten und sofort ins Haus zurückbeordern, wenn der Mann wieder auftauchen sollte. Frank öffnete den Farbkessel, rührte eifrig, tauchte den breiten Farbroller hinein und begann grossflächig aufzutragen. In diesem Moment bog der Pickup um die Kurve. Frank rief seine Frau sofort zurück, sie war eben mit einem grossen runden Paket nochmals unterwegs. Sie liess es fallen und hastete neben ihm ins Haus. So ist artig, dachte Frank, sie will keinen Krach mehr, heute. Da erst achtete Frank auf den Boden, und sah den bereits riesigen gelben Farbklecks. Entgeistert schaute er den Roller, den Kessel, die Veranda an, immer wieder. „Gelb“ stöhnte er. „Gelb“ schrie er. „Welcher Idiot hat mir den falschen Kessel Farbe geliefert“. Rasch versuchte er, die sich immer gelber färbende Flüssigkeit irgendwie aufzuhalten, einzudämmen. Sein perfektes Haus, nach und nach selber aufgebaut, jetzt mit dieser Farbe bekleckert, die – und das stellte Frank verwundert fest – jetzt sogar leuchtend gelb wurde. In einem Wutanfall schmiss Frank den Kessel in den Garten, wo sich die braune Farbe rasch ausbreitete, gelb wurde und schliesslich auch zu leuchten anfing. Frank rannte ins Haus, stürmte neben seiner Frau durch in den Keller und suchte – die Birne war immer noch futsch – irgend etwas, er wusste selber nicht wonach. Endlich konnte er wieder denken. Mit Benzin kann das ganze vielleicht verdünnt, oder abgetragen werden. Er schwankte die Treppe hoch und in die Garage. Das 50 Liter-Fass war noch fast voll und er rollte es bis zur Veranda. Mit einem Lumpen versuchte er, das inzwischen schon fast blendend helle gelb zu entfernen, allerdings nur mit mässigem Erfolg. 

Und dann meldete sich auch noch der junge Herr mit übermütiger Stimme, dass das Feuerwerk jetzt soweit parat sei. Ob er abends wieder kommen solle oder ob er, Frank, das Feuerwerk selber anzünden wolle? 

Frank hatte dafür keine Zeit. Jetzt nicht! Er musste wohl oder übel einfach braune Farbe herkriegen, starke braune Farbe, die das ganze dann übertünchte. Frank griff bereits zum vierten Bier. Denken, und an eine solche Sch…, das gab Durst. Heute konnte er zudem keine Farbe mehr kriegen, es war bereits nach fünf. 

Er begann wieder zu schrubben, bis die Benzindämpfe ihm einen wüsten Hustenanfall bescherten. Er beschloss, die gelbe Farbe flächendeckend einzuweichen und legte mit Benzin befeuchtete Lumpen aus. Das würde helfen und morgen konnte man weitersehen. Unwirsch verabschiedete sich Frank vom jungen Mann und gab ihm so zu verstehen, dass dessen Aufenthalt auf seinem Grund und Boden jetzt gerade vorbei war. Der zuckte nur die Schulter, grüsste fröhlich und fuhr von dannen. 

Es war ein stiller Abend und Frank trank mehr Bier, als er vom Nachtessen zu sich nahm. Ein Zischen schreckte ihn auf. Das Feuerwerk! Hatte er doch vergessen. Nein heute nicht! Das passte nicht zu seiner Stimmung. Er torkelte auf die Veranda und sah noch eine einzelne Rakete in den Himmel schiessen, wo sie sich mit einem Knall in einen farbigen Kreis verteilte. „Fertig“ schrie Frank. „Nicht, ich will das nicht. Nicht mehr, aufhören“. Neben sich hüpfte seine Frau herum und lachte glücklich. „Oh, ah, schau wie schön“ rief sie in einem fort. Jetzt reicht’s, dachte Frank. Auf dem Damm hatte er den jungen Kerl von heute entdeckt, der ihm fröhlich zuwinkte. Frank torkelte ins Haus und kam nach zwei, drei Minuten mit seinem Jagdgewehr wieder zum Vorschein. „Fertig,“ schrie Frank. Er torkelte auf die Veranda. Dabei schmiss er das halbvolle Benzinfass um, dessen Inhalt sich gluckend auf dem Boden verteilte und versuchte zu zielen. Doch er sah immer zwei Figuren auf dem Damm. „Finale, Finale“ hörte er seine Frau rufen. Sie rief es irgendwie von weit her. Der Ruf kam vom Damm, um genau zu sein. Hand in Hand sah er sie dort mit dem jungen Kerl stehen. Dann sah Frank noch die zwölf, fünfzehn, zwanzig Glühwürmchen auf dem Damm die alle miteinander wohl das Schlussbouquet auslösen würden. Mehr verblüfft als sonstwie berührt merkte Frank noch, wie das Finale nicht hoch in den Himmel schoss, sondern direkt auf ihn zuraste.